Wege zu einer klimafreundlicheren Betonbauweise

Der Klimawandel stellt das Schweizer Bauwesen vor grosse Herausforderungen – gleichzeitig eröffnen neue Technologien und Planungsansätze immer mehr Wege, den CO₂-Ausstoss der Betonbauweise deutlich zu reduzieren. Die stärksten Hebel liegen heute in einer materialeffizienten Tragwerksplanung, in klinkerreduzierten Zementen, in gezielt optimierten Betonrezepturen, in der CO₂-Bindung über die Lebensdauer sowie in der schrittweisen Dekarbonisierung der Herstellungsprozesse. Gemeinsam ermöglichen sie bereits heute spürbare Verbesserungen bei Emissionen, Ressourcen und Energie. Die Roadmaps der Schweizer Zementindustrie und Betonbranche zeigt, wie diese Massnahmen weiter ausgebaut werden können und langfristig den Weg zur klimaneutralen Wertschöpfungskette ebnen. Dieser Überblick fasst zusammen, was heute möglich ist und welche Entwicklungen die nächsten Jahre prägen werden.

Die CO2-Emissionen vermindern

Der Klimawandel macht sich in der Schweiz zunehmend bemerkbar. In den Alpen ziehen sich die Gletscher jedes Jahr weiter zurück, Permafrostböden tauen auf und extreme Wetterereignisse nehmen zu. Sowohl Alpenregionen wie auch das Mittelland sind häufiger von Hochwasser, längeren Trockenphasen und ausgeprägten Hitzeperioden betroffen. Diese Entwicklungen betreffen auch das Bauwesen, denn Infrastruktur und Gebäude müssen auf veränderte Bedingungen vorbereitet sein.  Gleichzeitig steht die Branche in der Verantwortung, ihren Beitrag zur Klimastabilisierung zu leisten. Die Herstellung von Zement und Beton verursacht rund sechs Prozent der globalen CO₂-Emissionen. Entsprechend hoch ist der Anspruch, den eigenen Fussabdruck zu verringern. Die Industrie arbeitet seit vielen Jahren daran und hat bereits spürbare Fortschritte erzielt. Die Roadmap 2050 von cemsuisse und vom Verband Baustoff Kreislauf Schweiz zeigen, dass das Netto-Null-Ziel erreichbar ist. Die Industrie investiert in nachhaltige Lösungen und technische Innovationen. Dazu gehören CO₂-optimierte Zemente, ein wachsender Anteil alternativer Brennstoffe, eine klimafreundliche Logistik und der schrittweise Aufbau von CO2-Abscheideanlagen in den Zementwerken. 

Der Weg zu Klimaneutralität

Materialeffizienz als Kern der Klimawirkung

Beton ist trotz seiner globalen Bedeutung für die Emissionen pro Gewichtseinheit ein vergleichsweise CO₂-armer Baustoff. Sein klimarelevanter Einfluss entsteht vor allem durch die grossen Mengen, die verbaut werden. Aus diesem Grund greift die Baupraxis immer stärker auf materialoptimierte Konstruktionen zurück, die gleichzeitig eine hohe Lebensdauer bieten. Besonders wirksam sind Tragwerke, die kürzere Spannweiten haben und deren Decken über mehrere Stützen hinweg durchlaufen. So verteilt sich die Last besser und die Bauteile können deutlich schlanker ausgeführt werden. Das senkt den Materialbedarf und damit die CO₂-Bilanz eines Gebäudes. Beton eignet sich für solche effizienten Tragwerke sehr gut, da er präzise geformt werden kann und in der Schweiz regional hergestellt wird, was die CO₂-Bilanz zusätzlich verbessert. 

Werkzeugkasten für effiziente Tragwerke

Wer Tragwerke heute plant, muss mehr im Blick haben als CO₂-Kennwerte und Zementgehalte. Entscheidend ist, wie effizient ein Tragwerk mit Material umgeht und wie lange es im Bestand bleibt. Das White Paper von Walter Kaufmann zeigt anhand konkreter Strategien, wie sich mit durchdachten Tragwerkskonzepten Materialverbrauch und Umweltbelastung reduzieren lassen, ohne die Nutzungssicherheit einzuschränken.

Parallel dazu schafft die teilrevidierte Norm SIA 262 die Grundlage, Nachhaltigkeit im konstruktiven Betonbau verbindlich zu verankern. Sie bildet auch die Basis für die geplante Wegleitung „Ökologische Nachhaltigkeit von Betontragwerken“, die ab 2026 die praktische Umsetzung dieser Grundsätze unterstützen soll. Zusammen bieten White Paper, Norm und Wegleitung einen praxisnahen Rahmen, wie Planende und Bauherrschaften Betontragwerke ressourcen- und klimaschonend entwickeln können.

Whitepaper ökologisch nachhaltige Geschossdecken

Das von Prof. Dr. Walter Kaufmann, ordentlicher Professor am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich, für Betonsuisse verfasste Whitepaper regt dazu an, Tragwerksplanung als integralen Bestandteil nachhaltiger Architektur zu betrachten.

Lebenszyklus und CO₂-Bindung

Ein zentraler Aspekt klimaeffizienten Bauens ist der Blick auf den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Beton überzeugt hier durch seine lange Nutzungsdauer und durch seine Fähigkeit, die Innenraumtemperatur auszugleichen. Seine thermische Masse nimmt Wärme auf und gibt sie zeitverzögert wieder ab. Dadurch kann der Energiebedarf für Heizen und Kühlen über viele Jahrzehnte sinken und die Betriebsenergie eines Gebäudes wird spürbar entlastet.

Eine weitere wichtige Eigenschaft ist die CO₂-Bindung im Laufe der Nutzungszeit. Beton nimmt während seiner Lebensdauer durch die natürliche Rekarbonatisierung einen Teil der prozessbedingten Emissionen wieder auf. Dieser Effekt beträgt etwa einen Fünftel der im Herstellungsprozess entstandenen CO₂-Menge. Rekarbonatisierung ist damit eine nachweisbare CO₂-Senke. In der Schweizer Netto-Null-Strategie trägt sie rund 9,8 Prozent zur gesamten geplanten Emissionsreduktion bis 2050 bei.

Beton leistet zudem einen Beitrag zur Klimaeffizienz, weil ein einziges Bauteil mehrere Funktionen übernehmen kann. Eine Betondecke oder Betonwand trägt Lasten und erfüllt gleichzeitig Anforderungen an den Brand- und Schallschutz. Wenn diese Funktionen in einem Element vereint sind, braucht es weniger zusätzliche Materialien. Das reduziert den Ressourceneinsatz und wirkt sich positiv auf die ökologische Gesamtbilanz eines Gebäudes aus.

Fortschritte bei Zement und Beton

Die Entwicklung CO₂-optimierter Zemente und Betone hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Tempo gewonnen. Ein zentraler Treiber dieser Entwicklung ist die kontinuierliche Reduktion des Klinkeranteils. Seit 1990 konnte die Schweizer Zementindustrie ihre CO₂-Emissionen pro Tonne Zement um rund 40 Prozent senken. Ein wesentlicher Grund dafür ist der fast flächendeckende Einsatz klinkerreduzierter Zemente. Der Jahresbericht 2024 zeigt, dass Zemente der Kategorie CEM II inzwischen 89 Prozent der gesamten Produktion ausmachen, während klassischer Portlandzement (CEM I) nur noch einen sehr kleinen Anteil aufweist.

Neben den Zementen selbst werden auch die Betone weiterentwickelt. Ziel ist es, die positiven Eigenschaften wie Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit zu erhalten und gleichzeitig den Anteil des CO2-intensiven Klinkers zu reduzieren. Dies gelingt zum Beispiel durch optimierte Sieblinien, den Einsatz leistungsfähiger Zusatzmittel oder die gezielte Wahl eines geeigneten Wasserzementwerts.

Reduktionspfade der cemsuisse Roadmap 2050

Die Roadmap zeigt klar, wie sich die CO₂-Emissionen bis 2050 schrittweise reduzieren lassen. Ein Teil der Reduktion entsteht durch die Dekarbonisierung des Transports und der Elektrizität, durch effizientere Anlagen und insbesondere die Entwicklung neuer Zementsorten. Ein weiterer grosser Hebel betrifft den Brennstoffmix. Bereits heute stammen siebzig Prozent der benötigten Brennenergie in Schweizer Zementwerken aus alternativen Brennstoffen, darunter viele biogene Stoffe.

Der bedeutendste Hebel für die kommenden Jahrzehnte ist jedoch die Abscheidung von CO₂ direkt im Zementwerk. Rund zwei Drittel der Emissionen sind prozessbedingt und entstehen bei der Entsäuerung des Kalksteins. Sie lassen sich nicht durch effizientere Verfahren oder alternative Brennstoffe vermeiden. Ein Ansatz besteht darin, technische Anlagen direkt an den Standorten der Zementwerke zu errichten, die das entstehende CO₂ am Ursprung abscheiden. Das abgeschiedene CO₂ kann entweder dauerhaft gespeichert werden, im Sinne von Carbon Capture and Storage, oder als Rohstoff in industriellen Prozessen genutzt werden, beispielsweise für die Herstellung synthetischer Treibstoffe im Rahmen von Carbon Capture and Utilisation. Wenn diese Abscheidungstechnologien künftig mit biogenen Brennstoffen kombiniert werden, kann Zement langfristig sogar zu einer CO₂-Senke werden.

CO₂-Speicherung und Recycling über den Lebenszyklus

Auch am Ende seines Lebenszyklus besitzt Beton ein relevantes Klimapotenzial. Wird Betonabbruch gezielt zerkleinert und mit CO₂ behandelt, kann das Gas dauerhaft mineralisch gebunden werden. Diese Verfahren speichern heute etwa zehn Kilogramm CO₂ pro Kubikmeter Beton und werden in der Schweiz bereits industriell eingesetzt. Damit gehört Beton zu den wenigen Baustoffen, die CO₂ nicht nur verursachen, sondern im Recyclingprozess auch dauerhaft einlagern können. Das zeigt, dass Beton klimafreundlich nachgenutzt werden kann und im Kreislauf zusätzliche Vorteile bietet. Die Schweiz nimmt in diesem Bereich eine führende Rolle ein. Diverse Unternehmen haben die CO₂-Mineralisation auf industrielles Niveau gebracht und zeigen, dass sich Rückbaustoffe technisch hochwertig und klimapositiv aufwerten lassen. 

Blick nach vorn

Laufende Entwicklungen zeigen, dass der CO₂-Ausstoss pro Tonne Zement und pro Kubikmeter Beton Jahr für Jahr sinkt. Die Branche arbeitet konsequent daran, diesen Fortschritt weiterzuführen. CO₂-optimierte Zemente, verbesserte Betonrezepturen und immer effizientere Herstellungsprozesse schaffen bereits heute messbare Verbesserungen. Gleichzeitig entstehen neue Technologien, die in den kommenden Jahren zusätzliche Potenziale eröffnen werden. Dazu gehören innovative Zemente mit sehr niedrigem Klinkeranteil, optimierte Betone für unterschiedliche Anwendungen und die Vorbereitung erster Anlagen zur CO₂-Abscheidung direkt im Zementwerk.

Auch im Umgang mit Ressourcen ist eine klare Richtung erkennbar. Rezyklierte Gesteinskörnungen werden zunehmend eingesetzt und reduzieren den Bedarf an natürlichen Rohstoffen. Parallel dazu entstehen konstruktive Lösungen, die den Materialverbrauch im Bauwerk selbst deutlich senken und die Nutzungsdauer verlängern. Diese Entwicklung verbindet Ressourcenschonung und Klimaschutz mit hoher technischer Leistung. Für Architekten, Ingenieurinnen und Bauherren bedeutet dies, dass Beton heute bereits verantwortungsvoll eingesetzt werden kann. Und dass sich die Möglichkeiten weiter vergrössern werden. Mit jedem Fortschritt in der Zementtechnologie, in der Betonrezeptur, im Recycling und in der CO₂-Abscheidung wird der Spielraum grösser, nachhaltige und leistungsfähige Bauwerke zu realisieren. So entsteht eine Bauweise, die Funktion, Dauerhaftigkeit, Klimabewusstsein und Wirtschaftlichkeit miteinander verbindet und Perspektiven für die nächsten Jahrzehnte eröffnet.

Die Schweizer Zementindustrie bekennt sich zum Netto-Null-Ziel bis 2050

Wie sie ihren Beitrag dazu leisten will, wird in folgenden Publikationen beschrieben:

Innovation: Beitrag Schweizer Zementindustrie
Innovation: Beitrag Schweizer Zementindustrie