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Individualität in Serie

In der Bauwelt ist die Vorfertigung längst Realität und sie entwickelt sich unaufhaltsam Richtung Kosteneffizienz und beschleunigtem wie auch nachhaltigem Bauen. Von den Architektinnen und Architekten verlangt sie im Vorfeld mehr Planung, bietet dann aber die Chance, die Qualitäten handwerklicher Kleinserien mit den Vorzügen industrieller Fertigung zu vereinen. Was aber steckt genau dahinter? Wir haben mit Cyrill Kunz, Geschäftsführer der Müller-Steinag Element AG, gesprochen.

Individualität in Serie
Cyrill Kunz, 43 Geschäftsführer der Müller-Steinag Element AG Mit über 20 Jahre Vertriebserfahrung in verschiedenen Branchen – zuletzt Verkaufsleiter der Müller-Steinag Element AG. Hobbys: Fitness, Hörbücher, Technik, Baugewerbe
Cyrill Kunz, 43 Geschäftsführer der Müller-Steinag Element AG Mit über 20 Jahre Vertriebserfahrung in verschiedenen Branchen – zuletzt Verkaufsleiter der Müller-Steinag Element AG. Hobbys: Fitness, Hörbücher, Technik, Baugewerbe

Über 200 Anfragen gehen pro Woche ein. Aus der ganzen Schweiz. Mal nur eine Treppe, dann wieder eine ganze Fassade. Kein Auftrag gleicht dem anderen. Jedes Objekt wird genau berechnet, von der Dimension bis zur Statik. Vorfertigung in Beton ist schwer im Kommen, weil es die Vorzüge einer Industrie – höchste Präzision, genaue Zeitplanung und gleichbleibende Qualität – mit den individuellen Vorstellungen einer anspruchsvollen Zielgruppe verbindet.

Immer mehr Architektinnen und Architekten setzen daher auf Individualität in Serie. «Bei uns ist der spezifische Faktor so hoch, dass wir eigentlich eine Manufaktur mit den Vorteilen einer Industrie sind», sagt Cyrill Kunz, Geschäftsführer der Müller-Steinag Element AG in Rickenbach. «Fast alles, was zu automatisieren ist, haben wir automatisiert.» Eine Wickelmaschine für die Stahlarmierung etwa garantiert gleichbleibend hohe Qualität. «Aber es ist immer noch viel Handarbeit», sagt Cyrill Kunz. Das ist auch erforderlich, denn im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Deutschland setzen schweizerische Baumeister auf Einzelstücke und Massanfertigungen. Das hat etwas mit der Art des Bauens zu tun, die eben viel individueller sei.

Natürlich kommt es vor, dass sich hinter einer Auftragsnummer auch eine Serie von 300 identischen Elementen verbirgt, doch dazu kommen eben auch 279 Aufträge mit kleinen Stückzahlen: Bahnbauelemente, Balkone, Fassadenelemente, Garagen, Lärmschutzelemente Stützen, Tragwerke oder Treppen – es gibt so gut wie nichts, das nicht werkseitig vorfabriziert werden könnte. Und dies bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen, geschützt vor Wind und Wetter, und weniger Schmutz als auf der Baustelle. Vorfabrizierte Betonelemente können unabhängig von Wind und Wetter gefertigt werden.

Eine Wickelmaschine für die Stahlarmierung garantiert gleichbleibend hohe Qualität.
Eine Wickelmaschine für die Stahlarmierung garantiert gleichbleibend hohe Qualität.
Vorfabrizierte Betonelemente können unabhängig von Wind und Wetter gefertigt werden.
Vorfabrizierte Betonelemente können unabhängig von Wind und Wetter gefertigt werden.

Wie aber entsteht ein Bauteil in Beton?

Am Anfang steht eine architektonische Idee, gleich ob auf Papier oder als digitale Planungsgrundlage. Für den Guss wird dann eine Negativform erstellt, klassischerweise als Holzschalung. Dazu schneidet die CNC-Fräse der hauseigenen Zimmerei das Plattenmaterial zu, welches zur Schalung zusammenschraubt und auf dem Schalungstisch aufgereiht wird. Viele Elemente werden mit selbstverdichtendem Beton («Self Compacting Concrete») gefertigt, um Betonnester auszuschliessen. Alternativen zum Plattenmaterial sind Stahlschalungen oder die mit Kunstharz belegte Spanplatte, welche eine absolut glatte Oberfläche garantiert.
 

Form und Oberfläche: ein perfektes Zusammenspiel

Holzschalungen per CNC-Fräsen geben den Gestaltern Freiheiten. Der Formgebung sind kaum Grenzen auferlegt. «Wir können im Grunde alles produzieren», sagt Cyrill Kunz. Beispielsweise Treppen. «Bei einem Auftrag über 100 Treppen kann es durchaus sein, dass wir 30 bis 40 verschiedene Treppenvarianten liefern.» Jeder Zentimeter zählt. Der Online-Treppenkonfigurator, der nach Eingabe von einem halben Dutzend Parametern eine völlig individuelle Treppe erstellt, vereinfacht nicht nur die Ausschreibung, sondern auch die Planung mit Richtpreis. Er greift dabei auf ein handelsübliches Schalungssystem zurück. «Was darin nicht geht, fertigen wir mit einer individuellen Schalung.»

Formgebung ist das eine, hinzu kommt die gewählte Oberfläche über alle Sichtbetonklassen hinweg. Die meisten Aufträge bewegen sich in der Sichtbetonklasse 2; die Sichtbetonklasse 3 stellt extrem hohe Ansprüche: Hier wird nichts verziehen, kein Schalungsstoss, keine Unsauberkeit. Architektinnen und Architekten lassen daher die Einfüllseite (die spätere Montageseite) so platzieren, dass sie verborgen bleibt. Die andere Seite ist dafür absolut schalungsglatt.

Neben sandgestrahlten oder glatten Oberflächen sind auch solche aus Waschbeton möglich, in beinahe jeder Tönung. Natürliche Farben ergeben sich durch unterschiedliche Kiessorten, die durch farbige Gesteinskörnungen verändert werden können. Zuschläge wie Basalt färben Beton schwarz, Eisen und Kupfer wiederum grün oder bräunlich. In die Schalung eingelegte Strukturmatrizen wiederum eröffnen weitere Möglichkeiten, die Oberfläche zu strukturieren – von natürlichen Steinbildern bis hin zu Wellenprofilen oder ornamentalen Varianten.

Gestrahlte Betonelemente bieten gestalterischen Spielraum bei der Realisation von Bauwerken.
Gestrahlte Betonelemente bieten gestalterischen Spielraum bei der Realisation von Bauwerken.

Volle Kostenkontrolle
Der Fantasie wird nur durch die Kosten für Zuschläge und Matrizen gewisse Grenzen gesetzt. Grundsätzlich gilt: Je mehr gleichartige Teile, desto weniger Schalungen werden benötigt und desto preiswerter fällt die Vorfertigung aus.

Man könne vieles komplett in Elementen statt in Ortsbeton herstellen, meint Cyrill Kunz. Hierzu brauche es eine gewisse Menge, damit die Vorfertigung die gewünschte Wirtschaftlichkeit erzielt. Das verlagert die Kostenkontrolle weit in die Planung. Durch gezielte Repetition von Bauteilen lassen sich Schalungen, Zeit und damit Geld einsparen.

Aber ab welcher Stückzahl lohnt sich eigentlich ein vorgefertigtes Standard-Bauteil in Beton?
Da muss Cyrill Kunz schmunzeln. So über den Daumen könne man das nicht sagen. «Sobald es in den Bereich Sichtbeton geht und das Element mehrfach vorkommt», sagt er, «also ab drei, vier Stück schwenken viele auf uns um.» Es geht auch anders: Tatsächlich schon nachgefragt wurden Fassaden mit 1500 Elementen und mit über 700 unterschiedlichen Schalungen!

Präzise Rechnerunterstützung
Längst hilft Kollege Computer bei der Optimierung der Prozesse. Qualität aber beginnt bei den Plänen. «Wenn Architektinnen und Architekten gut vorplanen, können wir ihre Pläne über eine IFC-Schnittstelle direkt bei uns einpflegen», gibt Cyrill Kunz zu bedenken. «Dann müssen wir nur noch die Armierung zeichnen und nicht mehr das ganze Element.»

Die Zukunft im Elementbau gilt dem parametrischen Entwerfen. Architektinnen und Architekten geben nur noch die Einflussgrössen ein. Daraus berechnet das Programm das Bauteil samt statisch sicherem Plan einschliesslich Bewehrungen. Das Modell interpoliert die Armierung und passt sie auf die je gewählten Ausgangsdaten an. Der Weg dorthin ist nicht gerade trivial. Der Stützen-Konfigurator z.B. wurde nach zwei Jahren Entwicklungszeit online gestellt. Für jedes Bauteil laufen rund 300 Berechnungen im Hintergrund, damit auch alles statisch abgesichert ist. Wie steht es dabei mit der Präzision? Cyrill Kunz: «Theoretisch sind wir sogar millimetergenau, aber eine Norm sagt, dass wir fünf Millimeter Toleranz haben dürfen. Diese benötigen wir, um Unvorsehbares auf der Baustelle kompensieren zu können.»
 

Individualisierung grossgeschrieben

In Zeiten, in denen das Individuelle Standard ist, bieten präzise Planung und präzise Vorfertigung ein ideales Duo. Im Grunde gibt es nichts, was nicht unter kontrollierten Bedingungen in einer Halle produziert werden könnte. Dies ist auch ein gutes Argument in Zeiten des Fachkräftemangels, in denen Firmen auch mit guten Arbeitsbedingungen – z.B. Arbeiten unter Dach geschützt vor Wind und Wetter – punkten können.

Kreislaufbasiertes, ressourcenschonendes Bauen

Dank hoher Massgenauigkeit unter kontrollierten Produktionsbedingungen kann der Ressourcenverbrauch bei der Beton-Vorfabrikation reduziert werden. Weniger Masse heisst weniger CO2-Emissionen sowohl bei Herstellung wie auch bei Transport. Dank der Vorfertigung im Werk und den damit verbundenen optimierten Bauprozessen gibt es auf der Baustelle weniger Lärm und Staub und mehr Platz. Auch die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiges Thema. Der Kanton Zürich beispielsweise fördert Recycling-Beton in der Vorfertigung. Im Hochbau funktioniert das Recycling von Betonelementen sehr gut, immer vorausgesetzt, dass die Bestandteile gut dokumentiert sind. Vorgefertigte Recyclingbeton-Elemente bestehen heute meist aus 25 Prozent recyceltem Betongranulat.

Und in Zukunft?

Da dürften mehr und mehr Fasern aus Stahl und Kunststoff konventionelle Armierungen ersetzen. Faserarmierter Beton spart Zeit und Geld und macht die Vorfabrikation so noch wirtschaftlicher. Um Beton einzusparen, dürfte auch dünnwandiger geplant und ausgeführt werden. Auch der 3D-Betondruck, also die Betonformgebung ohne schalen zu müssen, wird immer wichtiger. Dies alles sind wichtige Argumente, um das modulare Bauen nach vorne zu bringen.

Mehr erfahren zum Thema Betonvorfabrikation

Das Online-Magazin für nachhaltiges Bauen mit Schweizer Betonvorfabrikaten GRAU bietet Informationen zu nachhaltigem Bauen mit Betonfertigelementen, zu 3D-Druck und Robotik, zu den vielfältigsten Lösungen, die nur dank Fertigelementen möglich sind und zu den Menschen, die Beton jeden Tag leben und zelebrieren. Eine kunterbunte Welt erwartet Sie im Grau Magazin

Müller-Steinag Element AG

Auf dieser Website finden sich u.a. drei Konfiguratoren: der Lichtschacht-, der Stützen- und der Treppenkonfigurator. Was bis vor einem Jahr noch viel Zeit und Ressourcen in Anspruch genommen hat, ist jetzt dank der Konfiguratoren mit nur wenigen Mausklicks innert kürzester Zeit individuell geplant und kalkuliert.

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Seit 40 Jahren ist die Aktivierung von Betonfassaden zur Energiegewinnung, insbesondere in Verbindung mit Wärmepumpenheizungen, ein fester Bestandteil des täglichen Geschäfts bei der STÜSSI Betonvorfabrikation AG und erstreckt sich als bewährte Praxis über verschiedenste Bauvorhaben, von Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern bis hin zum Gewerbebau.

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