Franco Zunino arbeitet am Institut für Baustoffe der ETH Zürich und hat sich seit Jahren der Forschung verschrieben, um einen «grünen Beton» zu entwickeln, der die Umweltauswirkungen des Baustoffs minimiert. Er betrachtet Beton nicht nur als einfaches Baumaterial, sondern als eine Art Zauberei, bei der flüssige Mischungen in robuste Strukturen verwandelt werden können.
Was hat Sie dazu motiviert, Beton zu revolutionieren?
Beton, das wichtigste Baumaterial, bildet das Fundament der modernen Gesellschaft. Obwohl er aus ökologischer Sicht äusserst effizient ist, verwenden wir so viel davon, dass seine Herstellung einen grossen Anteil (ca. 8 %) der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen ausmacht. Gleichzeitig existiert nichts Vergleichbares in diesen Mengen, das Beton ersetzen könnte.
Beton (und Zement) sind zudem auch faszinierende Forschungsmaterialien, die gelegentlich übersehen und als einfach und gewöhnlich angesehen werden. Diese Einfachheit verbirgt eine komplexe Chemie, bei der sich Eigenschaften kontinuierlich über die Zeit verändern, und die Leistung ist in der Regel das Ergebnis mehrerer multivariater Wechselwirkungen, die gleichzeitig auftreten. Das macht die Herausforderung noch interessanter.
Wie soll das UGC (ultra-green concrete)-Projekt* dazu beitragen, die CO2-Emissionen im Zusammenhang mit Beton zu reduzieren?
Erstens betont es die Notwendigkeit der Massenproduktion von Zementen mit niedrigem Klinkeranteil. Hierbei wird die LC3-Technologie meiner Meinung nach entscheidend sein, da sie dies ermöglicht, ohne die Leistung zu beeinträchtigen.
Das zweite Element zielt auf die Optimierung der Betonrezeptur ab. In unseren derzeitigen Mischungen ist zu viel Zement enthalten, und mit den richtigen Zusatzstoffen könnten wir mit deutlich weniger auskommen. Wenn beide Elemente des UGC-Konzepts zusammen angewendet werden, könnten wir im Prinzip Beton mit weniger als der Hälfte der durchschnittlichen CO2-Emissionen in der Schweiz herstellen.
Inwiefern könnte das UGC-Projekt einen bahnbrechenden Fortschritt in den nachhaltigen Technologien zur Dekarbonisierung der Bauindustrie darstellen?
Eines der Hauptziele der UGC-Technologie besteht darin, das derzeit auf den Zement gerichtete Augenmerk wieder auf den eigentlichen Baustoff, nämlich Beton, zu lenken. Die Reduzierung des Klinkeranteils ist sehr wichtig und wünschenswert, aber alle Gewinne können sehr schnell durch eine ungeeignete Betonrezeptur verloren gehen. Andererseits, wenn wir den Klinkeranteil auf Kosten der Leistung reduzieren, werden wir diese auf Kosten der Betonrezeptur tun.
Daher müssen wir alle Akteure der Wertschöpfungskette im Bauwesen in diese Bemühungen einbeziehen, angefangen von den Herstellern über die Architekten bis hin zu den Normenstellen. Ich bin der Meinung, dass wir auf der Materialebene einen enormen Beitrag zur Gesamtsituation leisten können.
Welche Auswirkungen hätte die Entwicklung der UGC-Technologie auf weltweite CO2-Einsparungen?
Das Gute am UGC-Konzept ist, dass es schrittweise umgesetzt werden kann. Zum Beispiel könnten wir heute die Betonrezeptur mit den verfügbaren Zementen optimieren, während andere mit geringerem Klinkeranteil verfügbar werden oder umgekehrt. Wenn UGC weltweit eingesetzt wird, könnte man konservativ geschätzt die Emissionen der Branche um etwa 800 Megatonnen CO2 pro Jahr reduzieren, was etwa 2% der Gesamtemissionen ausmacht. Dies entspricht in etwa dem 20-fachen CO2-Fussabdruck der Schweiz in einem Jahr.
Sie beschreiben Beton als ein «magisches Material». Könnten Sie einige seiner faszinierenden Eigenschaften näher erläutern?
Als Materialwissenschaftler erfüllt es mich mit Freude, die grundlegenden Mechanismen in den chemischen Reaktionen aufzudecken, die bei der Aushärtung von Zement im Beton auftreten. Wenn man einen Schritt zurücktritt, ist es faszinierend zu sehen, dass ein Material bei Raumtemperatur und -druck innerhalb weniger Stunden von einer Flüssigkeit in einen Feststoff übergehen kann. Dies ermöglicht es uns, der Vorstellungskraft der Architekten freien Lauf zu lassen und die Möglichkeiten auszuloten. Darüber hinaus ist Beton preiswert, sicher, äusserst langlebig und robust, und die Rohstoffe zur Herstellung sind überall verfügbar.
Welche Herausforderungen und Probleme sind mit der Herstellung von Beton verbunden, insbesondere im Hinblick auf CO2-Emissionen?
Meiner Meinung nach liegt die Herausforderung darin, dass Beton höchstwahrscheinlich das umweltfreundlichste Material ist, das in grossen Mengen zur Deckung des globalen Bedarfs an Infrastruktur hergestellt werden kann. Da wir jedoch eine beträchtliche Menge davon verwenden, müssen wir den eingebetteten Kohlenstoff in einem bereits gut funktionierenden Material reduzieren, ohne dabei die Hauptmerkmale zu beeinträchtigen, die Beton zu einem besonderen Material machen (Zugänglichkeit, Kosten, Eigenschaften). Mathematisch betrachtet kommt es in dieser Situation auf eine Optimierung des Optimums an. Dies ist herausfordernd, aber aus wissenschaftlicher Sicht auch aufregend.
Wie unterscheidet sich die Betonindustrie von anderen Hauptverursachern von Treibhausgasen wie der Luftfahrt?
Selbst für Personen innerhalb der Branche ist es schwierig, eine klare Perspektive auf den Umfang und die Grösse der Betonindustrie zu behalten. Nach Wasser ist Beton die Substanz, die wir am meisten verbrauchen. Ein Material, das in solchen Mengen verwendet wird, muss den grundlegenden Prinzipien der globalen Verfügbarkeit gehorchen, die letztendlich in der Zusammensetzung unseres Planeten begründet sind. Neue Technologien zur Dekarbonisierung von Zement und Beton müssen diese Massstabsüberlegungen berücksichtigen, um von neuen Entwicklungen abzuweichen, die zwar aus technischer Sicht funktionieren könnten, jedoch nur einen geringen Beitrag zum Problem leisten können.
Warum wird Holz nicht als Lösung zur Reduzierung der Umweltauswirkungen der Betonherstellung in Betracht gezogen?
Holz ist ein hervorragendes Baumaterial. Leider dreht sich hier alles um das Problem des Massstabs. Holz ist nur in einigen Regionen des Planeten verfügbar, und es gibt nur eine begrenzte Menge, die wir nachhaltig nutzen können. Um 20% des Betonverbrauchs im Bauwesen zu ersetzen, müssten Sie einen Wald in der Grösse Indiens pflanzen. Selbst wenn wir das heute tun würden, müssten Sie wahrscheinlich 20 Jahre warten, bevor Sie das Material ernten könnten. Holz kann in Regionen, in denen es natürlicherweise reichlich vorhanden ist (der Transport von Holz gleicht den Umweltnutzen schnell aus), Teil der Lösung sein. Es wird jedoch das Bild für Zement und Beton nicht signifikant verändern.
Welche Strategien planen Sie, um die CO2-Emissionen im Herstellungsprozess von Beton wirksam zu reduzieren?
Es werden verschiedene Technologien entwickelt und umgesetzt. Meiner Meinung nach ist der Einsatz alternativer Brennstoffe ein besonders vielversprechender Ansatz, der in Regionen, in denen er noch nicht vollständig umgesetzt ist, in Betracht gezogen werden sollte. Langfristig werden wir Kohlenstoffabscheidung benötigen, wobei die Hauptfrage die Kosten und Alternativen zur Verwendung und Lagerung sind. Wir sollten so viel wie möglich auf der Materialebene tun, um die Menge an Kohlenstoffabscheidung zu reduzieren, die wir benötigen werden, und gleichzeitig den aufstrebenden Volkswirtschaften den Zugang zu Beton zu ermöglichen.
Warum steht die Reduzierung von Zement und der Einsatz neuer chemischer Zusatzstoffe im Fokus Ihrer Forschung?
Zement trägt wesentlich zum CO2-Fussabdruck, aber auch zu den Eigenschaften von Beton dar. Daher ist die Reduzierung der Zementmenge eine klare Strategie zur Verringerung der CO2-Emissionen. Allerdings stellt dies eine Herausforderung für die Verarbeitbarkeit und Robustheit dar. Glücklicherweise verfügen wir heute über chemische Zusatzstoffe, um diese Probleme effektiv zu lösen, und wir besitzen die Mittel, die Technologie auf die neuen, weltweit eingeführten Mischzemente anzupassen. Chemische Zusatzstoffe werden meiner Meinung nach die Grundlage für kohlenstoffarmen Beton.
Wie arbeitet Ihr Forschungsteam mit der Betonindustrie zusammen, um eine breitere Akzeptanz in der Umsetzung der neuen Betonfamilie sicherzustellen?
Wir halten engen Kontakt zu Zementherstellern, Betonherstellern und Herstellern von Zusatzstoffen. Darüber hinaus bin ich in Standardisierungsgremien in Europa und den USA aktiv. Es ist wichtig, Erkenntnisse und Informationen sowohl an Hersteller als auch an Entscheidungsträger zu kommunizieren, damit wir die Produktion von kohlenstoffarmen Materialien vorantreiben können und gleichzeitig die Standards fördern, die ihnen den Marktzugang ermöglichen.
Welche Rolle spielen menschliche und wirtschaftliche Aspekte bei der Entwicklung und Einführung nachhaltiger Baumaterialien wie UGC?
Wir können keine Hightech-Lösungen entwickeln, die nur in den entwickelten Volkswirtschaften wie der Schweiz funktionieren. Der «globale Süden» benötigt das Material, um den grundlegenden Zugang zu Wohnraum und Grunddienstleistungen für ihre Bevölkerung zu gewährleisten, und wir haben die moralische Verpflichtung, diese Entwicklung zu ermöglichen. Wir können jedoch die Situation verbessern, indem wir Technologien bereitstellen, die die Entwicklung des «globalen Südens» zu einem geringeren Umweltpreis ermöglichen.
Wie könnte UGC den Weg für eine nachhaltigere Bauindustrie ebnen, insbesondere in weniger entwickelten Regionen?
Grundsätzlich sollten die Konzepte innerhalb der UGC-Technologie zu einem Material führen, das genauso viel kostet (oder günstiger) wie konventioneller Beton. In Regionen wie Afrika, wo der Zugang zu Klinker schwierig ist, wird die Reduzierung der Zementmenge pro Kubikmeter die Effizienz bei der Verwendung dieser knappen Ressource erhöhen und ermöglichen, mehr mit weniger zu tun.
Was ist Ihre langfristige Vision im Hinblick auf die Nutzung von nachhaltigem Beton?
Ich würde gerne eines Tages eine Netto-Null-Industrie sehen, die es der Gesellschaft ermöglicht, ihre Träume zu verfolgen und ihre Lebensqualität zu verbessern, während gleichzeitig unsere globale Umweltintegrität bewahrt wird.
Auf welche Weise könnten Mensch und Gesellschaft von der Umwandlung auf eine nachhaltige Betonvariante profitieren Beton, wie Sie es sich erträumen?
Vielleicht werden sie den Unterschied nie bemerken (und das wäre in gewisser Weise bereits ein Erfolg), aber wenn es uns gelingt, zur Minderung einiger der Auswirkungen der globalen Erwärmung beizutragen, wird die Gesellschaft sicherlich davon profitieren. Wird die Betonindustrie dafür Anerkennung erhalten? Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, wir werden nachts ruhig schlafen können, weil wir unseren Beitrag geleistet haben.
Weiterführende Informationen:
Mehr Wissen rund um Beton:
Nachhaltiges Wohnhochhaus setzt auf ressourcenschonende Beton-Bauweise
Kein anderer Zürcher Stadtteil entwickelt sich derzeit so rasant wie Altstetten. Das ehemalige Industriegebiet zwischen der Hardstrasse und dem Bahnhof Altstetten etwa wird Schritt für Schritt in ein modernes Wohn- und Arbeitsgebiet mit attraktiven Freiräumen und einem zeitgemässen Freizeitangebot umgewandelt.
Mehr
Nachhaltig bauen mit Beton - so gelingt ressourcenschonendes Bauen
In Zeiten des Klimawandels und begrenzter Ressourcen rückt die Bauindustrie ins Rampenlicht, während die Forderung nach nachhaltigen Bauwerken lauter wird. Die Betonbauweise bietet vielversprechende Ansätze zur CO2-Reduktion und nachhaltige, ressourceneffiziente Lösungen.
Mehr