Nachhaltigkeit
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Zwei in eins: Recylingbeton & CO2-Speichertechnologie

Die Schweiz soll bis 2050 klimaneutral werden. Dazu nötig sind ehrgeizige Ziele und griffige Massnahmen. Um den Bedürfnissen der aktuellen und kommenden Generationen gerecht werden zu können, engagiert sich die Totalunternehmung und Immobilienentwicklerin Losinger Marazzi seit vielen Jahren im Bereich der Nachhaltigkeit und hat zudem Anfang März dieses Jahres einen Chief Climate Officer ernannt: Ein Gespräch mit Lennart Rogenhofer über die Klimaziele des Unternehmens, Herausforderungen und den Baustoff Beton.

Zwei in eins: Recylingbeton & CO<sub>2</sub>-Speichertechnologie
Lennart Rogenhofer, Chief Climate Officer von Losinger Marazzi
Lennart Rogenhofer, Chief Climate Officer von Losinger Marazzi

Herr Rogenhofer, wir gratulieren Ihnen zu Ihrer neuen Funktion als Chief Climate Officer bei Losinger Marazzi. Welches waren die Gründe zur Schaffung dieser neuen Stelle?
Vielen Dank! In Anlehnung an die Klimastrategie 2050 des Bundes hat sich Losinger Marazzi verpflichtet, bis 2030 im Vergleich zu 2021 die CO2-äquivalenten Emissionen in unseren Projekten um 30 % zu reduzieren. Die Stelle des Chief Climate Officer wurde geschaffen, um unsere zukünftigen Handlungen besser zu orchestrieren, zu dokumentieren und zu messen und intern von Best Practices zu profitieren. Denn unsere Ambitionen und Ziele im Bereich Klima sind mit hohen Herausforderungen verbunden und erfordern eine spezifisch angepasste Organisation.

Die Klimastrategie ist ein bedeutender Teil Ihrer Unternehmensstrategie. Welche weiteren Elemente gehören Ihrer Meinung nach zum nachhaltigen Bauen?
Bei Losinger Marazzi leben wir schon seit langem eine Kultur des nachhaltigen Bauens vor. Themen wie Biodiversität, nachhaltige Zertifizierung von Gebäuden und die Kreislaufwirtschaft stehen im Zentrum unserer Tätigkeit. Nun möchten wir mit einem besonderen Fokus auf die Lebenszyklusemissionen nochmals einen Schritt weiter gehen.

Recyclingbeton hat bereits heute einen wichtigen Anteil an einem ressourcenschonenden Materialkreislauf. Wie schätzen Sie das Potenzial dieses Baustoffs ein und welche Voraussetzungen für den Einsatz müssen gegeben sein?
Wir beschäftigen uns selbstverständlich viel mit Recyclingbeton und haben auch schon diverse Erfahrungen in unseren Projekten gesammelt. Unser Ziel ist es, in der ganzen Schweiz einen möglichst hohen Anteil an Recycling-Granulat zu nutzen. Wir legen einen Schwerpunkt darauf, konsequent zertifizierten Recyclingbeton einzusetzen. Leider gibt es hier noch viele regionale Unterschiede, was die Arbeit schwieriger macht. Aber es gibt hier auf jeden Fall viel Potenzial, falls die Kosten in einem machbaren Rahmen bleiben. Besonders kombiniert mit einer Reduktion der CO2-Intensität des Zementes kann hier in der Schweiz sehr viel erreicht werden.

Welche Vorteile bringt ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Gebäude zukünftigen Investoren?
Mal abgesehen davon, dass es sich bei der Reduktion der CO2-Emissionen um eine gesellschaftliche Pflicht handelt, bieten nachhaltige Massnahmen auch Kostenvorteile. Zum Beispiel, wenn es um die Langlebigkeit der Materialien oder die Flächendichte geht. Hinzu kommt, dass gewisse Faktoren, wie tiefe CO2-Emissionen im Betrieb oder eine PV-Anlage auf dem Dach von vielen Mieterinnen und Mietern heute als Standard erwartet werden. Wir denken als Unternehmen langfristig und erarbeiten für unsere Kunden Projekte, die auch in ein paar Jahrzehnten den Anforderungen der Nachhaltigkeit aber auch den Bedürfnissen der Endnutzer heute und morgen gerecht werden. Mit der Gebäudeversicherung Bern (GVB) und der Wohnbaugenossenschaft ACHT Bern (wbg8) haben wir mit dem Projekt «Läbe im Burgereziel» zwei Bauherrinnen an unserer Seite, denen die Nachhaltigkeit ebenso ein wichtiges Anliegen ist.

Achten Sie bei der Wahl der verwendeten Baustoffe auf Regionalität?
Bei der Wahl der Baustoffe gibt es natürlich eine ganze Reihe an diversen Kriterien. Wenn man das Ganze aus Sicht der CO2-Emissionen anschaut, ist der Materialtransport zwar ein wichtiges Thema, es gibt aber hier einflussreichere Themen wie zum Beispiel der Fertigungsprozess der Materialien oder sogar die Materialwahl selbst. Trotzdem gilt natürlich, dass möglichst viel Baustoff regional bezogen wird. Das ist ja nicht nur für die CO2-Reduktion relevant, sondern auch, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Wenn wir zum Beispiel spezifisch von Beton sprechen: Wir kaufen Beton schon aus technischen Gründen möglichst lokal. Interessant ist hier zum Beispiel auch die Nutzung von Recyclingbeton, welcher ganz direkt die lokale Kreislaufwirtschaft fördert (Beispiele: Läbe im Burgereziel, Morges Eglantines, Quai Vernets).

Welche Rolle nimmt der Baustoff Beton hinsichtlich Nachhaltigkeit aus Ihrer Sicht ein?
Beton ist zur Zeit einer der Hauptbaustoffe für die Bauindustrie, das wird sich auch nicht von heute auf morgen ändern. Aufgrund seiner hervorragenden technischen Eigenschaften wird es schwierig, Beton zu vergleichbaren Kosten zu ersetzen. Es gibt inzwischen aber sicher eine höhere Diversifikation mit Holzbau, Holzhybridbau usw. Hier ist die Betonindustrie gefragt, um transparent nachhaltige Lösungen zu liefern, welche die Attraktivität des Betons hochhalten. Aus Sicht der Ressourcenschonung kann zum Beispiel mit Recyclingbeton schon mal ein Schritt in die richtige Richtung gemacht werden. Aus Sicht der CO2-Emissionen wird damit leider nur wenig gespart. Um unsere Klimaziele zu erreichen, benutzen wir Beton (hier ist ja besonders der Zement wichtig) mit möglichst tiefen CO2-Emissionen – und nur dort, wo er Sinn macht.

Was erwarten Sie von der unserer Industrie und welche Innovationen würden Sie sich wünschen?
Der Klimawandel geht uns alle etwas an. Die Politik hat sich engagiert. Losinger Marazzi als verantwortungsbewusstes Unternehmen auch. Die Klimastrategie ist deswegen ein strategischer Schwerpunkt des Unternehmens und gleichzeitig auch eine Antwort auf die gesellschaftlichen Anforderungen. Dabei handelt sich um ein Thema, das uns alle etwas angeht und auf welches wir gemeinsam gezielt hinarbeiten müssen. Es braucht Transparenz und Austausch, um gemeinsam zukunftsorientierte und nachhaltige Lösungen zu finden. Das wünschen wir uns auch von der Zement- und Betonindustrie. Bezüglich Innovation gibt es dabei aus unserer Sicht zwei Hauptthemen: Der Klinkeranteil, welcher reduziert werden muss, sowie Produktionsprozesse mit weniger fossilen Energieträgern.

Persönlich

Name: Lennart Rogenhofer
Funktion: Chief Climate Officer bei Losinger Marazzi AG
Alter: 28
Hobbys: Fussball, Schwimmen, Lesen

Beruflicher Werdegang:

  • Seit 2022: Chief Climate Officer, Losinger Marazzi AG
  • 2018 – 2022: Energieeffizienz, Losinger Marazzi AG
  • 2018: Master of Science in Maschineningenieurwissenschaften, ETH Zürich
Das Projekt «Läbe im Burgereziel» ist das schweizweit erste Wohnbauprojekt, bei dem CO2 aus der Atmosphäre in recyceltem Betongranulat gespeichert wird.
Das Projekt «Läbe im Burgereziel» ist das schweizweit erste Wohnbauprojekt, bei dem CO2 aus der Atmosphäre in recyceltem Betongranulat gespeichert wird.

Bereits heute bieten sich beim nachhaltigen Bauen mit Beton vier Möglichkeiten an: Die Verwendung CO2-reduzierter Zemente und Betone, das Planen CO2-effizienter Bauteile aus Beton, das Auslegen von Tragstruktur in Gebäuden auf eine lange Lebensdauer sowie die CO2-Aufnahme im Beton, die so genannte Karbonatisierung.

Eine konsequente Weiterentwicklung des Recyclingbetons wird durch eine neuartige CO2-Speichertechnologie erreicht, die eine vielversprechende Möglichkeit darstellt, CO2-ärmer zu bauen. Die Immobilienentwicklerin und Totalunternehmung Losinger Marazzi hat im Rahmen ihrer Klimastrategie unter anderem das Potenzial der beschleunigten Karbonatisierung für sich erkannt und auf dem Areal des Tramdepot Burgernziel umgesetzt.

Bei diesem Stadterneuerungsprojekt «Läbe im Burgereziel» in Bern wurden 600 m3 des klimafreundlicheren Betons verbaut. Die innovative Methode des ETH Spin-offs Neustark bindet CO2 aus der Atmosphäre in Recyclingbetongranulat, reduziert dadurch den Zementanteil im Frischbeton und verbessert so die Klimabilanz des Baustoffs. Das Projekt ist das schweizweit erste Wohnbauprojekt, bei dem das Material von Neustark zur Anwendung kam.

In einem ersten Schritt wird dabei Kohlendioxid aus der Atmosphäre gefiltert und verflüssigt. Anschliessend wird Betongranulat, das aus dem Rückbau anderer Bauwerke stammt, mit dem Kohlendioxid in Verbindung gebracht. Rund 10kg CO2 können auf diese Weise pro Kubikmeter Beton dauerhaft gebunden werden. Die neu entstehenden Gebäude in Bern werden zudem auf natürliche Weise nochmals CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen. Gemäss einer von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) durchgeführten Studie werden knapp 10 Prozent der totalen CO2-Emission von Betonbauwerken während ihrer Lebensdauer absorbiert.

Die Kombination von Recyclingbeton-Granulat und CO2-Technologie bringt ungeachtet der signifikanten Ressourceneinsparungen einen Beton hervor, der in jeder Hinsicht gleichwertige statische Eigenschaften aufweist wie ein Primärbeton aus Sand und Kies.

Neben der CO2-Speichertechnologie spielen weitere Faktoren eine wichtige Rolle für die nachhaltige Bauweise auf dem Areal des Tramdepot Burgernziel: Zum Beispiel die Umsetzung des Bauwerks als Hybridholzbau, eine clevere Kombination von Beton und Holz, sowie ein hoher Anteil an Recyclingbeton, der bei mehr als 50 Prozent liegt.

 

Rund 600 Kubikmeter des klimafreundlichen Betons wurden für die 101 Wohnungen sowie rund 4000m3 Büro-, Gewerbe- und Freizeitflächen verbaut.
Rund 600 Kubikmeter des klimafreundlichen Betons wurden für die 101 Wohnungen sowie rund 4000m3 Büro-, Gewerbe- und Freizeitflächen verbaut.

Der klimafreundlichste Beton der Schweiz

Das Unternehmen Neustark entfernt mit seiner Technologie CO₂ aus der Atmosphäre und speichert dieses in recyceltem Betongranulat.

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