Nachhaltigkeit, Bauteilaktivierung
5 Min.

Bauteilaktivierung als Energiespeicher

Am FHNW-Campus Muttenz zeigt sich, wie Bauteilaktivierung mit Beton nicht nur für angenehmes Raumklima sorgt, sondern zugleich als nachhaltiger Energiespeicher dient. Mit Hilfe von Erdwärme, Free Cooling und intelligenter Gebäudeinformatik kann die thermische Masse des Betons zentral zur nachhaltigen Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden beitragen.

Bauteilaktivierung als Energiespeicher

Beton, ein alltägliches Baumaterial, entpuppt sich als effizienter Energiespeicher. Seine Fähigkeit, Wärme zu speichern und sanft an Räume abzugeben, wird in der thermischen Bauteilaktivierung genutzt. Dabei dienen Wasserrohrleitungen in Betonbauteilen dazu, Wärme oder Kälte gleichmässig und langfristig im Raum zu verteilen. Diese innovative Methode eröffnet eine neue Dimension der Energieeffizienz, indem sie herkömmliche Bauteile wie Wände und Decken zu regelrechten Energiereserven macht. Die Bauteile können dabei bevorzugt zu Zeitpunkten beladen werden, in denen erneuerbare Energie (z.B. über eine Solaranlage oder über Erdkollektoren) vorhanden ist. So wird mehr erneuerbarer Strom eingesetzt und die Stromnetze können entlastet werden. Ein konkretes Beispiel dieses Ansatzes findet sich am FHNW-Campus in Muttenz.

Bauteilaktivierung als Energiespeicher

Innovatives Energiekonzept mit Beton an der FHNW in Muttenz

Der Campus, gelegen auf einem ehemaligen Industrieareal nordwestlich des Bahnhofs Muttenz, beherbergt rund 4’500 Menschen, die studieren, forschen und arbeiten. Mit fünf Fachbereichen unter einem Dach – von Architektur bis Mechatronik – ist er ein Zentrum für Vielfalt und Innovation. Die auffällige bronzefarbene Fassade des Campus gibt Einblick in die Funktionalität des Gebäudes. Hinter der geschlossenen Oberfläche verbergen sich Hörsäle, während Bibliothek und Gemeinschaftsbereiche in einem einladenden, offenen Raum strahlen.

Der Campus der Fachhochschule Nordwestschweiz setzt Massstäbe in der nachhaltigen Nutzung von Beton für Heizung und Kühlung. Technologien wie thermoaktive Bauteilsysteme (TABS) und Wärmerückgewinnung optimieren den Energieverbrauch und können dazu beitragen, die Umwelt zu schonen. Selbst bei Bedarf nach zusätzlicher Heizenergie wird auf ein Fernwärmenetz zurückgegriffen, das Abwärme aus der Speiseölproduktion nutzt.

Das thermoaktive Bauteilsystem (TABS) spielt eine entscheidende Rolle in diesem nachhaltigen Energiekonzept. Über einen Zeitraum von zwei Jahren hat die FHNW das TABS-System feinjustiert. Um der Trägheit des Systems entgegenzuwirken, werden Wetterdaten bereits zwei Tage im Voraus genutzt. Diese sorgfältige Einregulierung ermöglicht es, auch in den Eckräumen eine behagliche Temperatur zu halten.

Nicolas Battais, Leiter Gebäudeinformatik der FHNW, betont: «Das TABS-System ist energieeffizient und ermöglicht eine angenehme Temperatur, besonders im Sommer. Momentan sind wir in der Energieoptimierungsphase, bei der wir gezielt die Leistung der einzelnen TABS-Gruppen weiter verbessern, um die Effizienz zu steigern. Durch die Speichermasse des Gebäudes kann das System auch ohne grössere Einwirkungen auf den Betrieb gewartet werden.»

Die thermische Bauteilaktivierung bietet effiziente, kostensparende und umweltfreundliche Raumklimatisierung. Ihre Fähigkeit, Temperaturschwankungen auszugleichen und erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind und Erdwärme zu nutzen, macht sie zur Wahl für moderne, nachhaltige Gebäude. Dies kombiniert mit einer Wärmepumpe.

Expertendiskurs

Betonsuisse sprach mit Experten über die Praktikabilität und Vorteile der Bauteilaktivierung in Beton, und zwar mit Manuel Schneider, Partner bei Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro AG, und Heiko Mannschatz, Standortleiter Basel und Dipl. Ing. FH Energie / HLK bei derselben Firma.

Manuel Schneider, Partner bei Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro AG
Manuel Schneider, Partner bei Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro AG
Heiko Mannschatz, Standortleiter Basel und Dipl. Ing. FH Energie / HLK bei Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro AG
Heiko Mannschatz, Standortleiter Basel und Dipl. Ing. FH Energie / HLK bei Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro AG

Welche Gebäudetypen eignen sich besonders gut für die Betonbauteilaktivierung?
Manuel Schneider (MS): Sehr gut eignen sich beispielsweise öffentliche Bauten wie Schulen, Bürogebäude, Einkaufshallen und Lagerhäuser.

Welchen Einfluss hat die Bauteilaktivierung auf die Architektur? Gibt es spezifische Anforderungen?
Heiko Mannschatz (HM): Bei der Bauteilaktivierung ist Masse Pflicht, primär Sichtbeton. Zudem sollten die Gebäude generell gut gedämmt sein.

Welche Bedingungen sind wichtig für eine effektive Nutzung der thermischen Bauteilaktivierung in Verbindung mit Beton?
MS: Für die optimale Leistung sollte der Beton möglichst freiliegen, d.h. ohne Einschränkungen für die TABS. Auf diese Weise kann die Betonmasse im Sommer tagsüber Wärme aufnehmen und sie nachts abgeben (im Winter erfolgt der Prozess umgekehrt). So werden die nötigen Heiz- und Kühlleistungen über den Tag hinweg ausgeglichen.

Welches sind die Schlüsselaspekte bei der Planung eines Gebäudes mit TABS?
HM: Ein optimal konstruiertes Gebäude bildet die Grundlage aus energetischer Sicht. Durch die Verwendung von TABS kann es in verschiedenen Nutzungsszenarien sowohl im Winter als auch im Sommer effizient betrieben werden. Selbst dicht bestuhlte Hörsäle können mithilfe einer Kombination aus TABS und hygienischer Lüftung gekühlt werden. Diese Lüftung reagiert auf die Personenbelegung (CO2), was eine Anpassung auf schnell schwankende Belegungszahlen über den Tag hinweg ermöglicht.

Warum ist es entscheidend, bereits zu Projektbeginn die Entscheidung für den Einsatzvon TABS zu treffen?
MS: Der Entscheid TABS einzusetzen muss zu Beginn eines Projekts getroffen werden. Es gibt gute Erfahrungen in Bezug auf die Kombination mit der erforderlichen Raumakustik. Auch dieser Systementscheid muss frühzeitig im Projekt getroffen werden.

Wie wird die Bauteilaktivierung in die Gebäudetechnik, einschliesslich Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen, eingebunden und koordiniert?
HM: Die Versorgung der TABS erfolgt in der Regel auf einfache Weise (low-tec). Die Regelung läuft via Raum- und Kerntemperaturfühler. Im Beispiel des FHNW-Campus wurden keine elektrischen Regelorgane an den TABS-Verteilern eingesetzt.

Wie robust ist die Bauteilaktivierung hinsichtlich Verschleisses, Alterung und Langzeitnutzung und bestehen spezielle Wartungsanforderungen.
MS: Die Bauteilaktivierung von Beton ist in der Regel sehr robust und widerstandsfähig gegen Verschleiss sowie Alterung. In Bezug auf Wartungsanforderungen ist sie sehr einfach im Unterhalt und auch bei einem Rückbau gut rezyklierbar.

Welchen Beitrag leistet die Bauteilaktivierung zur Reduzierung des Energieverbrauchs und zur Verbesserung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes?
HM: Die benötigten Temperaturen für Heizung und Kühlung ähneln sich stark (niedrige Heiz- und hohe Kühltemperaturen). Dies ermöglicht besonders effiziente Wärmepumpen und begünstigt Free-Cooling-Systeme*, was sich positiv auf den Energieverbrauch auswirkt.

*Free-Cooling-Systeme: Wird ein Gebäude frei – das heisst ohne Kältemaschine – gekühlt, spricht man von Free-Cooling. Als Kältequelle können die Aussenluft, Grund-, Flusswasser oder das Erdreich genutzt werden.

Wie kann die Bauteilaktivierung von Beton gezielt mit anderen nachhaltigen Technologien oder Strategien kombiniert werden?
MS: TABS können auch in vorgefertigten Decken verwendet werden, die einen Überzug erhalten. Ebenso ist ihre Anwendung mit Recyclingbeton möglich.

Was sind die anfänglichen Kosten und die langfristigen Einsparungen bei der Implementierung von Bauteilaktivierung im Vergleich zu herkömmlichen Heiz- und Kühlmethoden?
HM: TABS sind sowohl in der Anschaffung als auch im laufenden Betrieb kostengünstig. Zur Kostenreduktion bei TABS kann sicherlich eine kürzere Bauzeit beitragen. Denn nach dem Abschluss der Rohbau-Arbeiten ist die Wärme- und Kälteverteilung erstellt. Ebenfalls kann theoretisch auf 2 cm Unterlagsboden verzichtet werden bzw. generell weniger Bodenaufbau eingebracht werden. Im Beispiel des FHNW-Campus wurden keine elektrischen Regelorgane an den TABS-Verteilern eingesetzt.

Welche Gebäudeprojekte haben die Bauteilaktivierung von Beton erfolgreich implementiert und welche Herausforderungen wurden dabei bewältigt?
MS: Einige erfolgreiche Projekte sind der FHNW-Campus in Muttenz, wo vorgefertigte Rippenelemente mit TABS im Überzug für Schulnutzung eingesetzt wurden. Die Aula, Hörsäle und Turnhalle sind mit Wand-TABS ausgestattet. Weitere Beispiele sind das ZHAW-Haus «Adeline-Favre» in Winterthur, in dem TABS in vorgespannten Flachdecken zusammen mit Elektro-, Sanitär- und Akustikeinlagen eingesetzt wurden. Das ZSC-Stadion in Zürich ist ebenfalls ein Beispiel.

Wie kann die Simulation der Raumtemperaturen im Jahresverlauf als Entscheidungsbasis für Bauherrschaften dienen?
HM: Die Simulation von Raumtemperaturen über das Jahr hinweg kann die tatsächlichen täglichen Temperaturschwankungen veranschaulichen. Diese Daten können als Entscheidungsgrundlage für Bauherrschaften dienen.

Projekt in Kürze

Bauherrschaft
Hochbauamt Basel-Landschaft, Fachhochschule Nordwestschweiz

Generalplanung
pool Architekten, Takt Baumanagement AG

Generalunternehmung
HRS Real Estate AG

Bauingenieur
Schnetzer Puskas Ingenieure AG

Haustechnik
Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro AG

Gebäudevolumen
322’000 m³

Energiebezugsfläche
55’000 m²

Laborfläche
6’000 m² (Bio, Chemie, Tech, Verfahrenstechnik)

Gesamtluftmenge
370’000 m³/h

Kälteleistung

  • 2’500 kW NH3
  • 750 kW Grundwasserfreecooling
  • 200 kW Prozesskälte

Notkühlung
260 kW mit 25’000 Liter Wasserreservoir

Heizleistung
1’300 kW

TABS – Thermoaktive Bauteilsysteme

Technische Informationen für die Planung

Mehr Wissen rund um Beton:

Projekte, Bauteilaktivierung

Bauteilaktivierung über Betondecken: Die innovative Heiz- und Kühltechnologie

Mit dem vor einiger Zeit eröffneten Liselotte-Hansen-Schmidt-Campus gelang der Stadt Wien ein zukunftsweisendes Projekt – in ökologischer wie auch in sozialer Nachhaltigkeit punktet der Bau und legt die Latte für den Schulbau hoch.

Mehr
Nachhaltigkeit

Energiesparende Heiz- und Kühlsysteme in Mehrfamilienhäusern

Betondecken als effizientes Wärme- und Kälteabgabesystem: In Egnach setzt ein neues Mehrfamilienhaus auf wegweisende Technologie für energiesparendes Heizen und Kühlen. Eine moderne Wärmepumpenlösung nutzt Erdwärme und thermische Bauteilaktivierung, um ein bemerkenswert angenehmes Raumklima zu schaffen.

Mehr