Wie viel Spielraum hat man als Architekt bei einem Bestandsbau?
Aufgrund der technischen Möglichkeiten ist es heutzutage möglich, fast jede erdenkliche Form umzusetzen. Der Kreativität von Architekten sind keine Grenzen gesetzt. Auch hier hätte man ein neues Gebäude anstelle des vorhandenen 80er-Jahre Baus platzieren können. Das führt jedoch dazu, dass vieles beliebig wird und das Werk trotz einer vielleicht spektakulären Form keine Relevanz besitzt. Dort sehen wir beim Bauen im Bestand für die Architektur eine grosse Chance. Man muss dafür die Qualitäten des Vorhandenen genau analysieren und herausarbeiten. Ausserdem muss man sich trauen, die heute nicht mehr brauchbaren Bauteile architektonisch zu verändern und wenn nötig auch stark einzugreifen. Dann hat man die Chance, ein wirklich einzigartiges Resultat aus Alt und Neu zu schaffen. Dies ist nicht nur für unsere Umwelt besser, weil es Ressourcen schont, sondern entwickelt auch den Ort mit seiner Identität weiter und bietet Schutz vor der Belanglosigkeit.
Wie wird Nachhaltigkeit bei diesem Projekt umgesetzt?
Es gibt sie nicht, die eine grosse Lösung oder den einen Ansatz, der ein Projekt auf einmal nachhaltig macht. Nachhaltigkeit besteht aus dem Zusammenspiel vieler Faktoren und genauso ist es auch bei der Müllerstrasse. Wir arbeiten viel mit zirkulären Ideen und geben Materialien noch einmal eine neue Lebenszeit, architektonisches Recycling sozusagen. Hier gibt es viele verschiedene Strategien, die wir einsetzen. Zum Beispiel, indem wir einzelne Materialien wie den Kunststeinboden aus den 80er-Jahren in den Treppenhäusern, im Gebäude zu belassen. Die daran anschliessenden Bauteile werden dann auf die dunkelroten Bodenplatten gestalterisch, farblich und in der Oberfläche angepasst. Das hat bei unserem Gebäude dazu geführt, dass wir 3 mal 10 Geschosse Kunststeinbelag inklusive aller Sockelleisten etc. nicht herausreissen und wegwerfen mussten. Oder wir nehmen Bauteile, die sich schlecht rezyklieren lassen, wie in unserem Fall die grossen Mengen des Gussaluminiums an der Fassade. Wir verwenden diese im Projekt nach einem Zuschnitt erneut als Fassadenmaterial und verkleiden damit auch die Wände und Decken in den Eingangsbereichen– hier dann aber mit geschliffener und polierter Oberfläche. Statt auf einer Deponie zu enden, geben wir dem Material noch einmal einen Lebenszyklus.
Ausserdem arbeiten wir hier auch mit verschiedenen Nachhaltigkeitslabels. Wir haben eine PV-Anlage auf dem Dach, haben sehr gute Dämmwerte an der Gebäudehülle und moderne Haustechnikanlagen. Wir sind an die Fernwärme angeschlossen und haben keine konventionelle Heizung mehr. Die Umgebung wird trotz der Innenstadtlage naturnah gestaltet. Auch verwenden wir ein neues, schaltbares Glas in der Fassade, basierend auf Flüssigkristalltechnologie. Dieses hilft uns zum Beispiel in Übergangszeiten durch eine prozentuale Abdunkelung die Kälteleistung zu reduzieren und es macht auch sämtliche aussenliegende Sonnenschutzsysteme überflüssig. Hierdurch wird nicht nur Material gespart, sondern auch der Aufwand im Unterhalt reduziert. Um ein nachhaltiges Projekt zu realisieren, braucht es immer ein vielschichtiges Vorgehen.
Was war in diesem Projekt in Bezug auf die Zusammenarbeit wichtig?
Ein kaum hoch genug einzuschätzender Faktor ist die Ambition und Einsatzbereitschaft der Bauherrschaft. Swiss Prime Site hat uns im Projektverlauf stets motiviert und gerade bei allen Themen der Kreislaufwirtschaft unterstützt. Wichtig war ausserdem, dass das Team von Anfang an komplett beauftragt war, inklusive Totalunternehmer, Fachplaner und Architekt. Das führt dazu, dass sich die Parteien als Team fühlen und sich stark mit dem Projekt identifizieren. Man spürt, dass sich der grosse Einsatz im Bereich Nachhaltigkeit lohnt und auch tatsächlich umgesetzt wird. Es wird viel verlangt von den Akteuren um die zirkulären Ideen bis in die Realisierung zu begleiten.
Wie ist spezifisch das Material Beton in Bezug auf Rezyklierbarkeit und zirkuläres Bauen einzuordnen?
Beton ist grundsätzlich ein sehr leistungsfähiges und auch ein langlebiges Material. In der Müllerstrasse war die 40 Jahre alte Stahlbetonstruktur in einem guten Zustand und konnte dadurch erhalten werden. Daneben bieten aber Stahlbeton und Baustoffe wie Terrazzo vielfältige andere Möglichkeiten im Bereich der Wiederverwertung. Wir haben zum Beispiel Abbruchbeton zerkleinert an die Firma Eberhard geliefert, die diesen mit der Firma swissporit kalt aufgeschäumt hat. Daraus entstanden sind mineralische Dämmstoffplatten, die wir im Untergeschoss an der Decke einsetzen konnten. Oder wir haben Abbruchmaterial vom Beton als Zuschlagstoffe für neue Kunststeinplatten für die Liftvorzonen und Lobbies verwendet. Teilweise haben wir sogar einzelne Betonabschnitte genommen, zugeschnitten, geschliffen und poliert. Diese werden nun als Sitzbänke im Projekt wieder eingebaut.