NACHHALTIGKEIT UND PLANUNG
Welche Fragen müssen sich Architekten und Ingenieure heute in Bezug auf Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit stellen?
Fabio Pesavento (FP): Aktuell liegt der Fokus beim Tragwerk auf der Reduktion der Treibhausgasemissionen bei der Herstellung sowie auf der Wiederverwendbarkeit der Bauteile.
AF: Wir müssen den verfügbaren Materialfächer weiterhin offen halten und erweitern. Die üblichen Materialien für das Tragwerk wie Beton, Stahl oder Holz können alle nachhaltig sein, wenn man sie richtig einsetzt und wiederverwertbar macht. Ein grosses Augenmerk muss auf die Produktion dieser Materialien gelegt werden, um nicht nur den CO2 Ausstoss zu verringern, sondern auch den Anteil der grauen Energie zu senken.
Wie haben Sie Ressourcenschonung in die Planung und Konstruktion des Gebäudes integriert?
FP: Es wurde nur das gebaut, was absolut notwendig war. Durch die Kombination mehrerer Funktionen im selben Bauteil konnte das Material sehr effizient eingesetzt werden.
AF: Es wurde auf unnötige Verkleidungen verzichtet, um das Minimum an Materialien im Bauwerk einzusetzen.
Im Interview vom Hochparterre wurde erwähnt, dass bzgl. Konstruktion, Materialität und Typologie neue Diskussionen notwendig sind. Was ist damit gemeint?
AF: Die Umnutzbarkeit eines Gebäudes sollte von vornherein mitgedacht werden, damit dem Gebäude ein zweites Leben ermöglicht wird und es nicht irgendwann vor einem zwingenden Abriss (und Ersatzbau) steht. Die Konstruktion sollte in diesem Sinne dauerhaft und die zurückzubauenden Materialien kreislauffähig sein.
Haben Sie die Betonkonstruktion des Gebäudes optimiert, um eine nachhaltigere Lösung zu schaffen?
FP: Ja, es wurde nur das in Beton gebaut, was unbedingt nötig war. Nicht zu viel und nicht zu wenig.
Wie müssen Spannweiten, Stützenraster, Geschossplatten und Tragwerk geplant werden, damit diese für zukünftige Nutzungen flexibel bleiben?
AF: Für den SIP Main Campus haben wir ein optimales Verhältnis von Stützenraster zu Geschossplattenstärke gewählt. Hätten wir das Stützenraster vergrössert, wären die Geschossplatten dicker geworden und der CO2 Abdruck des verbauten Betons und auch die Kosten wären exponentiell gestiegen. Das gewählte Raster von 7x7m erlaubt einen sehr flexiblen Grundriss für Labore oder Büros. Auch Wohnungen in ferner Zukunft wären in diesem Raster denkbar.
Welche Rolle spielt Beton in diesem Projekt?
FP: Eine sehr zentrale Rolle. Das Gebäude hätte aufgrund der geforderten Lasten, Spannweiten und Schwingungsanforderungen aus keinem anderen Material gebaut werden können.
Welche Funktion übernimmt in diesem Projekt das Tragwerk?
FP: Neben der vertikalen und horizontalen Lastabtragung hat das Tragwerk auch akustische, thermische und brandschutztechnische Funktionen. Die externen Bauteile leisten auch einen Beitrag zum baulichen Sonnenschutz.
INTEGRATION INS STADTBILD UND FLEXIBIITÄT
Wie wurde das Gebäude gestaltet, damit es sich harmonisch in die umliegende Stadtlandschaft einfügt? Oder was macht es aus?
AF: Das Gebäude befindet sich inmitten eines Gewerbegebietes, vis-a-vis zu einem Recyclinghof, Kieswerk und Zementwerk. Das Gebäude strahlt eine gewisse Robustheit nach aussen aus und nach innen umrahmt es eine grosse Parkanlage.
Wie wurde die Gestaltung des Gebäudes darauf ausgelegt, dass es flexibel auf Veränderungen der zukünftigen Anforderungen reagieren kann?
FP: Die Flachdecken sind weitgehend frei von Einlagen und haben bei nachträglichen Öffnungen ein gutmütiges Verhalten.
Wie haben Sie die verschiedenen Anforderungen und Bedürfnisse der Nutzer des Gebäudes bei der Planung und Gestaltung berücksichtigt?
AF: Dies war sicherlich einer der grössten Herausforderungen in der Konzeption des Bauwerks. Das Gebäude wurde geplant und gebaut, ohne die Nutzer und deren Anforderungen zu kennen. Diese kamen erst später dazu. Das Gebäude musste daher in der Auslegung des Grundrisses, der Haustechnikerschliessung und nachträglichen Durchbrüchen etc. völlig flexibel sein.
ENERGIEEFFIZIENZ UND TECHNOLOGIE
Wie wurden umweltfreundliche Materialien und Technologien bei der Gestaltung des Gebäudes berücksichtigt?
FP: Die eingesetzten Materialien zeichnen sich durch ihre Langlebigkeit und effizienten Einsatz aus.
Wie wurde die Energieeffizienz des Gebäudes maximiert und welche Technologien wurden dabei eingesetzt?
FP: Das Gebäude ist durch seine Form und Dimension sehr kompakt, was seinen Heizwärmebedarf massgeblich verringert. Der bauliche Sonnenschutz durch die Balkone und Laubengänge reduziert einen allfälligen Kühlungsbedarf.
AF: Bei diesem Laborgebäude liegt der Fokus eher auf der Kühlung, als auf der Wärmeerzeugung. Heiz/Kühl-Paneele wurden an der Decke angebracht, so dass die Fassade völlig frei von haustechnischen Installationen sein konnte. Dazu wurden Simulationen mit der FH Luzern durchgeführt, die die Machbarkeit bestätigen konnten. Die Energie für Heizung und Kühlung kommt aus dem Baugrund über geothermischen Anlagen.
ALLGEMEINE FRAGEN
Wie wurde die Fassade des Gebäudes konzipiert und welche Funktionen vereint sie?
FP: Die Fassade ist gleichzeitig Teil der Erdbebenstabilisierung, des sommerlichen Wärmeschutzes sowie Fluchtweg im Brandfall.
AF: Wir wollten der Fassade eine Tiefe geben und haben die aussenliegenden Stützen nicht nur als tragende sondern auch als gestalterische Elemente genutzt, was letztendlich dem Main Campus seine Identität verleiht. Im Innenhof führen Laubengänge auf die Treppenhäuser zu. Diese dienen der Haupterschliessung und zugleich als Fluchtweg. Somit konnte auf weitere (innenliegende) Treppen verzichtet werden, um die Geschosse frei von Kernen zu halten. Entlang der äusseren Fassade gibt es keinen Laubengang, hier liegen die Stützen direkt and der Glasfassade. Dazwischen hängen Balkone. Durch einen kleinen Spalt in den Fassadenstützen kann man sich dennoch von Balkon zu Balkon bewegen, z.B. für den Fassadenunterhalt.
Wie trägt die gitterartige Struktur der Fassade zur Reduzierung der Tragelemente im Inneren bei und welche Vorteile ergeben sich daraus für die Nutzflächen?
FP: Die Aussteifungselemente sind im Bereich der Fassade positioniert, was die Flexibilität im Inneren erhöht.
Wie wurden die Schotten an den Gebäudeecken gestaltet, um den gewünschten architektonischen Ausdruck zu erzielen?
FP: Da eine Schotte pro Geschoss für Lastabtrag und Aussteifung ausreicht, konnten die Ecken für den gewünschten architektonischen Ausdruck mit geschossweise versetzten Schotten ausgebildet werden.
AF: Die Fassaden sind regelmässig durchgerastert. An den Gebäudeecken, wo beide Raster aufeinandertreffen, entsteht dann die Ausnahme. Das Raster löst sich im Wechsel der Geschosse auf. Es war sicherlich eine Herausforderung an den Bauingenieur, dies statisch umzusetzen.
Was für Decken wurden im Gebäude verwendet und wie dick sind sie?
FP: Die Regeldecken sind Stahlbeton-Flachdecken mit einer Stärke von 28 cm.