Nachhaltigkeit

Schweizer Nachhaltigkeit

Die Schweiz setzt beim Bauen mit Recyclingbeton Massstäbe. Sie hat systematische Voraussetzungen dafür geschaffen: Dank einer hohen Baukultur und noch höherer Baudichte, einer Baugesetzgebung, die Recycling fördert, sowie dank der kontrollierten und zertifizierten Verwendung von Kreislaufprozessen im industriellen Massstab und einer zunehmenden Nachfrage von Bauherren nach gesunden und ökologisch wertvollen Materialien, die keine lange Reise hinter sich haben.

Schweizer Nachhaltigkeit

Bauen mit Recyclingbeton ist in der Schweiz längst die Regel. Die Eidgenossen haben früh in Kreislaufwirtschaft investiert. Mit einigem Erfolg: Gute Architektur und Recyclingbeton gehen Hand in Hand. Wie etwa beim Learning Center der Universität St. Gallen, für das Sou Fujimoto 2017 in einem geladenen Wettbewerb den Zuschlag erhielt. Das Konzept einer modernen, integrierenden und interaktiven Lernumgebung setzte der Japaner geradezu mustergültig um. Den vertrauten Hörsaal gibt es nicht mehr, dafür offene Räume, die durch Trennwände weiter aufgeteilt werden können. Sou Fujimoto schuf so einen hochflexiblen Lernort, der Verbindungen zu Menschen schon im Grundriss geradezu anlegte. Das 63 Mio. teure Learning Center mit seinen 700 Arbeitsplätzen wurde auch in Sachen Nachhaltigkeit konsequent entwickelt: Das Niedrigenergiehaus nutzt Erdwärme und Solarmodule und besteht zu rund 50% aus recyceltem Beton.

Das Learning Center der Universität St. Gallen steht damit nicht allein. Bereits vor über einem Jahrzehnt bewies das Schulhaus Leutschenbach in Zürich Oerlikon, dass avancierte Gestaltung und Nachhaltigkeit zusammenpassen. Das von Christian Kerez entworfene Schulhaus wirkt wie ein Beton gewordener Schichtkuchen, der Klassenräume, Mensa und Sporthalle stapelt und so mit minimaler Grundfläche auskommt. Der inzwischen ikonische Schulbau stellt einiges auf den Kopf: Obenauf sitzt die Turnhalle, die mit ihrer grsszügigen Verglasung hinter einem Zickzack aus Betonstreben schon fast an eine Freilufthalle denken lässt. Auch statisch stellt das Haus eine Herausforderung dar, da es sein Gewicht auf gerade sechs Pfeilern ablastet. Erstellt wurde es mit rund 6'750 m3 Recyclingbeton, der 75% des gesamten Betonvolumens ausmacht.

Das 2022 eröffnete, «SQUARE» genannte HSG Learning Center der Universität St. Gallen von Sou Fujimoto Architects, Paris.
Das 2022 eröffnete, «SQUARE» genannte HSG Learning Center der Universität St. Gallen von Sou Fujimoto Architects, Paris.
Das Niedrigenergiehaus nutzt Erdwärme und Solarmodule und besteht zu rund 50% aus recyceltem Beton.
Das Niedrigenergiehaus nutzt Erdwärme und Solarmodule und besteht zu rund 50% aus recyceltem Beton.

Schweizer Masstäbe

Hier setzt die Schweiz Massstäbe, was die Qualität der Bauten und das Bauen mit Recyclingbeton ausmacht. Blicken wir auf die Zahlen: Insgesamt fallen in der Schweiz rund 63 Mio.t Bauschutt pro Jahr an, grossenteils als Aushub. Von den immerhin 15 Mio. t mineralischer Bauabfälle aus dem Rückbau entfällt die eine Hälfte auf die Infrastruktur (Strassen), die andere auf Gebäude. 40% der 7,5 Mio. t mineralischer Bauabfälle landen wiederum auf Deponien, obwohl sie faktisch wiederverwertbar wären; aus den anderen 50% werden minderwertige Betone und Kiesgemische (Downcycling) hergestellt; nur rund 10% werden für die Herstellung hochwertiger Recyclingbetone eingesetzt.

Auch das Tanzhaus Zürich von Barozzi Veiga Architekten, Barcelona, wurde mit Recyclingbeton realisiert (Bilder aus dem Architekturpreis BETON 21).
Auch das Tanzhaus Zürich von Barozzi Veiga Architekten, Barcelona, wurde mit Recyclingbeton realisiert (Bilder aus dem Architekturpreis BETON 21).
Galerie: Schweizer Nachhaltigkeit
Galerie: Schweizer Nachhaltigkeit

Drei Faktoren für RC-Beton
Was also macht die Schweiz anders in Sachen Kreislaufwirtschaft beim Bauen, speziell in Sachen RC-Beton? Da wäre zunächst die Gesetzgebung. Die Bauprodukteverordnungen der Schweiz und Deutschlands sind identisch. In der Schweiz regelt aber zusätzlich noch die «Verordnung über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen» (VVEA), dass – wenn immer möglich – Rückbaustoffe verwertet werden müssen. Konkret verfügt etwa Art. 20: «Betonabbruch ist möglichst vollständig als Rohstoff für die Herstellung von Baustoffen oder als Baustoff auf Deponien zu verwerten.» Die öffentliche Hand geht mit gutem Beispiel voran, private Bauherren folgen, wie etwa das Radisson Hotel am Züricher Flughafen (2006–2008), dessen Innenarchitektur von Mattheo Thun stammt. Rund 80'000 m3 Recyclingbeton wurden zwischen 2010 und 2015 auf den Baufeldern C, E und H der Europaallee in Zürich eingesetzt. Jedes weitere Projekt verringert zudem eventuelle Vorbehalte gegenüber recyclierten Materialien.

Ein weiterer Faktor liegt in der Bevölkerungsdichte. Auf knapp 41'300 km2 leben zwischen Genf und Graubünden, dem Tessin und dem nördlichsten Kanton Schaffhausen 8,6 Mio. Menschen. «Wir in der Schweiz haben einfach keinen Platz, das heisst auch wenig Platz für Deponien», sagt Patric Van der Haegen, der Leiter Entwicklung der Eberhard Unternehmungen mit Sitz in Kloten. Dazu komme ein übergrosser Anteil von Bauschutt: «Wenn man in der Schweiz baut, steht einfach schon was da.» Die Firma Eberhard gilt mit ihren rund 600 Mitarbeitenden an zehn Standorten als technologischer Marktführer für Baustoffrecycling; allein das «BaustoffRecyclingZentrum Ebirec» in Rümlang bereitet bis zu 450.000 t mineralischen Bauschutt pro Jahr auf, eine gewaltige Menge, aber dennoch nur 3% der Gesamtsumme an Bauschutt in der Schweiz.

«Grundsätzlich ist es so, dass wir die Betonstruktur eines Hauses zu 100% verwerten können», sagt Patric Van der Haegen. Bei einem Haus mit mehreren Materialien, gemeinhin als Mischabbruch bezeichnet, sei dies «sehr viel aufwändiger». Aber auch dafür hat Eberhard eine neue Anlage im September letzten Jahres in Betrieb genommen, die stoffliche Verwertungen weit über 90% erziele. «Da können wir vorne ein Haus reinschmeissen und es fast komplett verwerten.»

Ein dritter Faktor liegt in der überprüfbaren Qualität. Das Geheimnis guten RC-Betons sei schnell erklärt, meint Patric Van der Haegen: Wir brauchen harte Sekundärbaustoffe, also gute Steine, und müssen die Siebkurve unter Kontrolle halten, also die Korngrössenverteilung. «So können wir Hochbaubeton herstellen mit Recyclinganteilen, die in Deutschland kaum möglich sind.» Zement macht 10–15% aus, der Rest ist recyceltes Material. International gültige, standardisierte und fremdüberwachte Umweltdeklarationen wirken einem Greenwashing entgegen.

Es gibt bereits zirkuläre Baustoffe in der Schweiz, die das Ganze transparent machen – ganz im Sinne der Regeln für Corporate Governance.

Die Schulanlage Leutschenbach in Zürich-Schwamendingen von Christian Kerez AG, Architekt ETH/SIA, Zürich, wurde mit rund 6‘750 m3 Recyclingbeton gebaut. Dies entspricht 75% des gesamten Betonvolumens.
Die Schulanlage Leutschenbach in Zürich-Schwamendingen von Christian Kerez AG, Architekt ETH/SIA, Zürich, wurde mit rund 6‘750 m3 Recyclingbeton gebaut. Dies entspricht 75% des gesamten Betonvolumens.
Quelle beider Bilder: Stadt Zürich, Amt für Hochbauten; Fotograf: Hannes Henz
Quelle beider Bilder: Stadt Zürich, Amt für Hochbauten; Fotograf: Hannes Henz

Urbane Minen erschliessen
Wie das praktisch aussieht, lässt sich an immer mehr Gebäuden in der Schweiz zeigen, etwa am Schulhaus Hardau in Zürichs Bullingerstrasse. Der beeindruckend klare Bau verwendete 3.500 m3 RC-Beton, was 100% des gesamten Betonvolumens entspricht. Neben Renommierprojekten wie der Erweiterung des Kunsthauses Zürich, bei der alleine rund 20.000 m3 Recyclingbeton eingesetzt wurden, sind es immer mehr intensiv genutzte Zweckbauten, die ganz selbstverständlich Materialien der Kreislaufwirtschaft verwenden, wie etwa das Parkhaus C am Flughafen Zürich, bei dem 90% des gesamten Betonvolumens von 13.050 m3 aus RC-Beton bestehen. Schweizer Qualitätsbewusstsein verbindet sich mit Pragmatismus. Es sind eben auch handfeste Gründe, die für die Wiederverwendung kostbarer Ressourcen sprechen, so etwa die Frage der langen Transporte. Recyclingzentren liegen in der Regel weit näher an Städten als Deponien, was Wege verkürzt und die Ökobilanz verbessert.

Wohin geht die Reise in der Schweiz?
Eines jedenfalls steht fest: Kreislaufwirtschaft heisst der nächste Megatrend. «Wir können nicht anders, als wertvolle Rohstoffe wieder und wieder zu verwenden. Es wird sich durchsetzen, dass Menschen Kreislaufprodukte verlangen und auch bereit sind, dafür mehr zu zahlen, wie heute für Bio-Produkte», sagt Patric Van der Haegen: Irgendwann könne das Sekundärmaterial sogar rar werden, wenn es alle wollen. «Ich weiss nicht, wann das der Fall sein wird, aber dieser Tag wird kommen.» Nachhaltigkeit schickt sich an, zum entscheidenden Faktor für den Wert von Immobilien aufzusteigen, neben Fragen der Lage oder der weiteren Ausstattung.

Die Zukunft zielt also in Richtung Kreislaufwirtschaft und nachhaltiger Rohstoffbeschaffung vor Ort. Beim Einsatz von RC-Beton liegt die Schweiz vorne, weil sie systematisch die Voraussetzungen dafür geschaffen hat: dank einer hohen Baukultur und noch höherer Baudichte, einer Baugesetzgebung, die Recycling fördert, sowie dank der kontrollierten und zertifizierten Verwendung von Kreislaufprozessen im industriellen Massstab und einer zunehmenden Nachfrage von Bauherren nach gesunden und ökologisch wertvollen Materialien, die keine lange Reise hinter sich haben, sondern im besten Fall aus der Nachbarschaft gewonnen werden können. Es ist dies eine sich selbst verstärkende Mischung, die sich wie eine Blaupause auch für andere Länder nutzen liesse.


Autor: Dr. Oliver Herwig
Dieser Beitrag stammt aus der Publikation betonprisma «Kreisläufe» des InformationsZentrums Beton und wurde uns dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.
 

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