Beton-People, Interview
6 Min.

Die Betonröhre zum Mittelpunkt der Erde

Ein Tunnel wie aus einem Abenteuerroman: Wer in die 57 Kilometer lange Betonröhre des Gotthards eintaucht, erlebt eine Reise ins Innere der Schweiz – fast wie bei Jules Verne zum Mittelpunkt der Erde. Test-Lokführer Heinz Wüthrich erzählt, wie sich dieses Jahrhundertbauwerk anfühlt.
 

Die Betonröhre zum Mittelpunkt der Erde

Man kann zum Mond reisen oder Sonden in ferne Galaxien schicken. Oder man kann, wie es Jules Verne beschrieben hat, zum Mittelpunkt der Erde vordringen. Eine Reise ins Erdinnere zu wagen, ist vermutlich das grössere Abenteuer, als zum Mond zu düsen. Man weiss nicht, was einen erwartet. Nur Lava? Oder ob es dort wirklich verborgene Welten gibt? Bewohner sogar? Sagenumwobene Zwergenwesen, die tief im Inneren unserer Erde Geheimnisse hüten? Vielleicht entdeckt man das, was unsere Welt im Inneren zusammenhält? Im Roman steigt ein Abenteurer-Trupp in Island in einen Vulkan hinab und kommt nach langer Reise durch die Erdmitte in Stromboli vor Sizilien wieder an die Erdoberfläche. Das ist quasi eine subterrane Nord-Süd-Verbindung, die uns vielleicht gar nicht so fremd ist und dennoch jedes Mal ein Abenteuer für Gross und Klein darstellt. Nämlich dann, wenn man durch den neuen und rekordlangen Basistunnel weit unter dem Gotthard reist. Taucht man in die 57 km lange Betonröhre und damit in den längsten Eisenbahntunnel der Welt ein, muss sich das anfühlen, als würde man so etwas wie eine Reise zum Mittelpunkt der Erde antreten.

Auf ein solches Abenteuer hat sich Heinz Wüthrich schon ziemlich früh gemacht. Er ist Test-Lokführer und war einer der ersten, der in den längsten Eisenbahntunnel der Welt eingetaucht ist und sich so ganz weit unter die Erdoberfläche gewagt hat. Es wird einem ja schon mulmig, wenn man durch den Gotthard-Strassentunnel fährt. Man fragt sich, wie so ein Tunnel überhaupt gegen die unglaublichen Gesteinsmassen darüber ankommt. Kann ein Tunnel denn nicht einbrechen? Worauf sind die Erbauer beim Durchtrieb gestossen? Aber wie lässt sich so ein Gefühl an, wenn die Röhre dreimal länger ist und jetzt mal grob gedacht dreimal mehr Gesteinsmasse darüber liegt?

In unserer Serie über spannende Persönlichkeiten, die mit dem Baustoff Beton zu tun haben und interessante Erfahrungen gemacht haben, konnten wir mit Heinz Wüthrich ein Interview führen. Heinz Wüthrich ist Lokführer, Test-Lokführer und Prüfungsexperte BAV bei SBB Cargo International und war vor der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels einer der ersten, der in die 57 km lange Betondoppelröhre tief ins Innere der Schweiz vorgedrungen ist.

Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde trifft auf den Gotthard-Basistunnel – die Faszination des Inneren hat die Menschheit schon immer fasziniert.
Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde trifft auf den Gotthard-Basistunnel – die Faszination des Inneren hat die Menschheit schon immer fasziniert.
2sp Bilder: Die Betonröhre zum Mittelpunkt der Erde
Zug bei der Durchfahrt durch den Gotthardbasistunnel
Zug bei der Durchfahrt durch den Gotthardbasistunnel

Guten Tag Herr Wüthrich.


Sie sind Lokführer und Test-Lokführer. Ein Wunschberuf? Oder wie kamen Sie dazu?
Es war für mich schon immer ein Bubentraum, einmal Lokführer bei der SBB zu werden. Deswegen habe ich alles unternommen, um die Bedingungen zu erfüllen, die es dazumal brauchte, um Lokführer zu werden.

Was umfasst Ihr Job alles?
Da ich auch Prüfungsexperte BAV bin, führe ich Prüfungen mit angehenden Lokführern durch, oder nehme den Lokführern, welche alle fünf Jahre eine periodische Prüfung ablegen müssen, die Prüfung ab. Ebenso fahre ich selber mit verschiedenen Zügen auf diversen Strecken. Zudem führe ich Testfahrten mit neuen Lokomotiven oder auf neuen Eisenbahnstrecken durch.

Sie fahren sicher auch mal rasant über die Geleise. Wie schnell waren Sie schon unterwegs?
Die Vorschriften verlangen, dass für eine neue Strecke, wie eben zum Beispiel der Gotthard Basistunnel, mit Testfahrten ein Sicherheitsnachweis erbracht werden muss. Dabei muss die getestete Geschwindigkeit 10% höher sein als die Geschwindigkeit, welche dann mit den kommerziellen Zügen gefahren wird. Der Gotthard Basistunnel ist für eine Geschwindigkeit von 250 km/h zugelassen. Wir fuhren mit den Testfahrten 280 km/h.

Gibt es ein Gefühl, das den Moment beschreiben kann, wann man das erste Mal in dieses Jahrhundertbauwerk eintaucht?
Ja, das gibt es wirklich. Man ist irgendwie sprachlos und auf eine Art ehrfürchtig.

Gibt es einen speziellen Sound, wenn man in das Rohr reinschiesst?
Den gibt es, ja. Vor allem spezielle Windgeräusche, wenn man mit 200 km/h in den Tunneltubus einfährt. Denn der Zug schiebt eine gewaltige Luftmenge vor sich her.

Denkt man darüber nach, wie viel Gesteinsmasse sich da drin über einen aufbaut?
Eigentlich nicht. Man nimmt das gelassen zur Kenntnis, denn man vertraut der Technik. Den alten Gotthard-Tunnel gibt es ja schon seit über 140 Jahren und er ist immer noch in Betrieb.

Was ist für Sie der Hauptnutzen des neuen Tunnels?
Die Energie-Ersparnis! Klar, spart man viel Zeit. Aber viel wichtiger erscheint mir, dass man nun von den Nordseehäfen bis nach Genua eine Flachbahn nutzen kann, die nur wenig Steigung überwinden muss. Die alte Strecke ist nicht nur 30 km länger, sie ist auch 600m höher. Und das schenkt ein. Früher musste man drei oder auch mal vier Loks einsetzen, um einen Güterzug bis nach Göschenen hinaufzuziehen. Heute braucht man für eine Komposition nur eine Lok. Das spart gewaltig an Energie. So, dass man die Energie für die Produktion des Baumaterials Beton damit kompensieren kann.

Schaut man sich Videos aus der Führerstandperspektive an, dann hat das etwas Hypnotisches. Die Betonröhre, die Lichter an den Seitenwänden, die Geschwindigkeit. Wird man sogar etwas süchtig nach Tunneldurchfahrten?
Zu Beginn, als der Tunnel eröffnet wurde, war jede Durchfahrt etwas Spezielles. Mit der Zeit normalisiert sich das Ganze und der Tunnel wird wie eine andere Strecke befahren.

Haben Sie einen Co-Piloten?
Nein, einen zweiten Lokführer gibt es schon lange nicht mehr, denn die Sicherheitstechnik übernimmt den Part des zweiten Lokführers.

Braucht es für den Basistunnel eine Art Prüfung? Oder kann auch ein Lokführer der DB oder von den FS durch den Gotthard fahren?
Ein Lokführer, der berechtigt ist, durch den Gotthard Tunnel zu fahren, muss eine spezielle Ausbildung absolvieren, welche alle möglichen Szenarien beinhaltet, die eintreffen können. Mittlerweile können auch italienische oder deutsche Lokführer den Basistunnel befahren. Sie müssen natürlich ebenfalls die Ausbildung durchlaufen haben. Auch die Loks werden nicht mehr an den Grenzen gewechselt. Künftig werden immer mehr Güterzüge mit derselben Lok und Crew grenzüberschreitend unterwegs sein. Beim Personenverkehr wird aber nach wie vor gewechselt.

Welche sind für Sie andere einzigartige Bahnstrecken?
In der Schweiz gibt es sehr viele einzigartige Strecken. Dazu gehören für mich die Strecken am Jura Südfuss, die Gotthard- oder die Lötschberg-Bergstrecke.

Tauschen Sie sich mit anderen Lokführern aus? Mit Shinkansen- oder TGV- Lokführern?
Ja, wir pflegen einen regen Austausch vor allem mit europäischen Eisenbahngesellschaften, mit welchen wir zusammenarbeiten. Natürlich nicht nur auf der Lokführer-Ebene, sondern in allen Bereichen.

Haben Sie Platzangst?
Nein, zum Glück nicht! Wobei, selbst wenn: Man ist ja mit ziemlich Geschwindigkeit in Bewegung, was Platzangst vermutlich aufhebt. Zudem sind die Führerstände gross genug. Und auch die Evakuierungstunnels sind grosszügig bemessen, sodass auch Passagiere mit Platzangst bedenkenlos eine Evakuation bestehen können.

Ihre Lieblingslok?
Da gibt es mehrere: Zum Beispiel die Vectron BR193, der ICE BR 412 oder der RABe 501, auch als Giruno, zu Deutsch Bussard, bekannt.

Zum Beruf Lokführer: Gibt es genug Nachwuchs, darunter auch Frauen?
Wegen den unregelmässigen Arbeitszeiten sowie der Einsätze am Wochenende ist der Lokführerberuf nicht mehr so gefragt wie früher. Aber es lassen sich immer noch viele Frauen und Männer für diesen faszinierenden Beruf gewinnen.

Was muss man mitbringen, um den Bubentraum Lokführer wahr werden zu lassen?
Eine abgeschlossene Berufslehre oder die Matura.

Es gibt die guten, alten Holzschwellen und solche aus Beton. Merkt man einen Unterschied beim Fahren?
Die Geräuschkulisse ist leicht unterschiedlich. Holzschwellen hatten etwas mehr Bass, wenn man so will. Heutzutage werden aber meines Wissens nur noch Betonschwellen eingesetzt. Die Holzschwellen kamen mitunter auch in Verruf, weil sie mit Teeröl imprägniert sind und darum als umweltbelastend gelten.
 

Auch interessant: Die Schwellen im Basistunnel sind auf ein festes Betontrassee verlegt und nicht auf Schotter, so wie man das sonst auf Bahnstrecken sieht. Wegen der Luftmasse, die ein Zug mit 250 km/h mitzieht oder vor sich herdrückt, würden sonst Schottersteine im Tunnel herumfliegen.

Im Basistunnel wurden schätzungsweise 4 Mio. m3 Beton verbaut. Damit liesse sich eine halbe Stadt bauen. Wie wohnen Sie?
Ich wohne in einer Wohnung mit einem sogenannten schwimmendem Betonboden. Mir gefällt's!

Wenn Sie wählen könnten: Haus aus Holz oder Beton?
Aus Beton nur schon wegen des Unterhalts. Aber Holzhäuser sind natürlich schon schön.


Besten Dank für das Interview und weiterhin gut Fahrt.
 

Impressionen der festen Fahrbahn im Gotthard-Tunnel. Bildquelle Vigier Rail AG
Impressionen der festen Fahrbahn im Gotthard-Tunnel. Bildquelle Vigier Rail AG
Galerie: Die Betonröhre zum Mittelpunkt der Erde
Galerie: Die Betonröhre zum Mittelpunkt der Erde

BETONSUISSE befragte Christophe Kipfer, von Vigier Rail, der Lieferantin der Beton-Schwelle im Gotthard-Tunnel.

Welche Rolle spielt Beton in der Entwicklung von modernen Eisenbahntunnels wie dem Gotthard-Basistunnel, und welche besonderen Eigenschaften machen Beton für solche Projekte besonders geeignet?
Für den Tunnelbau ist Beton einer der wichtigsten Baustoffe und wird auf Grund seiner langen Lebensdauer und Belastbarkeit gewählt. Tunnelbauwerke werden in der Regel auf 100-120 Jahre bemessen. Für diese Lebensdauer sind die Betonteile des Tunnels zu bemessen, unter anderen der Beton, welcher die Schienenstützpunkte der Fahrbahn umgibt. Die Schienenstützpunkte werden für eine Lebensdauer von bis zu 60 Jahren ausgelegt. Diese kann kürzer als die Lebensdauer für die Tunnelbauteile gewählt werden, da die Betonblöcke ausgetauscht werden können.

Welche Herausforderungen und Innovationen gibt es bei der Herstellung und Verwendung von Betonschwellen in Hochgeschwindigkeitsbahntunnels, insbesondere in Bezug auf Sicherheit und Haltbarkeit?
Die Herausforderungen liegen in der dynamischen Belastung der Bauteile. Die Bauteile erfahren Millionen von Lastwechsel, welche durch die Radüberfahrten über die Schienen auf die Betonelemente aufgebracht werden. Dabei stellt die Ermüdung des Betons und Stahls, sowie dynamische Einzeleinwirkungen – beispielsweise Flachstellen an Rädern grosse Belastungen dar. Die Auslegung der Betonteile, sowie besonders der elastischen Komponenten, welche die Betonteile umgeben, ist für die Langlebigkeit und Sicherheit entscheidend. Durch ein optimiertes Design und neue Baustoffe wird gleichzeitig der CO2-Footprint zu reduziert.

Inwiefern hat die Zusammenarbeit mit verschiedenen Eisenbahngesellschaften und Fachleuten zu neuen Erkenntnissen und Verbesserungen im Bereich der Schieneninfrastruktur beigetragen?
Mit mehr als 60 Jahren Erfahrung im Bereich von Festfahrbahnsystemen und mehr als 70 Jahren in der Betonschwellenproduktion wurden viele Erkenntnisse in das Design und die Materialien berücksichtigt. Ziel ist es eine Gleisinfrastruktur zu bieten, die höchsten Fahrkomfort und Dauerhaftigkeit bietet.

Christophe Kipfer, Unternehmensleiter Vigier Rail
Christophe Kipfer, Unternehmensleiter Vigier Rail

Hier ein paar Facts über den längsten Eisenbahntunnel der Welt, welcher aus zwei parallelen Röhren gebaut wurde.

Länge:
57,1 km ist die Länge der Verbindung. Mit allen Stollen kommt der Bau jedoch auf ganze 152 km.

Kosten:
Gekostet hat das Werk um die 12 Milliarden Franken.

Felsdicke:
Die Felsdicke über der Röhre ist bis zu 2300 m hoch.

Bohrmaschinen:
Vier Bohrmaschinen à je 441 m Länge hoben rund 28 Millionen Tonnen Gestein aus. Damit könnte man rund fünf Grand-Dixence Staumauern bauen.

Verbaut:
Beton wurde rund 4 Mio. m3 verbaut.

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