Welchen Bezug haben Sie zum Beton-Oval in Zürich Nord? Was gefällt Ihnen speziell?
Die offene Rennbahn liegt in der Nähe unseres Hauses. Im Sommer sind wir oft mit den Kindern die Rennen schauen gegangen. Uns hat das ganze Setting immer sehr gefallen. Die Architektur der Bahn. Dieses Eintauchen in eine spezielle Welt. Das Publikum, der Bahnsport, alles unter freiem Himmel, das ist einzigartig. Die Bahn ist wie eine Art UFO, das hier in Oerlikon gelandet ist, einfach faszinierend. In diesem Sinne herunterfahrend ist auch der Besuch. Man landet in einer anderen Welt, oft «aus der Zeit gefallen» beschrieben, die ihre eigene Bahn zeichnet. Man trifft auf eine eingeschworene Gruppe Menschen, die sich auf den zwei Terrassen einfinden, um sich an diesen tollen Radsportdisziplinen zu erfreuen. Auf der einen Seite sitzen die Familien und eher «neueren Fans» in lockerer Atmosphäre. Auf der anderen Seite sitzen zum grösseren Teil die Traditionalisten. Das vermischt sich auch gut. Es gibt ja keine Fanlager, wie im Fussball. Man ist geeint durch dieses spezielle Offene-Rennbahn-Oerlikon-Feeling.
Wie sind Sie zum Stehersport gekommen?
Eigentlich bin ich keine Velofahrerin. Ich fahre Motorrad, eine 125er, aber auch das nicht superambitioniert. Wenn aber die Stehergespanne in der Bahn kreisten, hat mich das magisch angezogen. Man ist wie hypnotisiert und lässt sich vom Sound und den durchs Rund kreisenden Gespannen in einen fast süchtig machenden Sog hineinziehen. Das hat mich irgendwann so richtig gepackt und den Ehrgeiz und die Neugierde geweckt. Dann ist einer unserer Nachbarn freiwilliger Helfer der offenen Rennbahn Oerlikon. Mit ihm habe ich immer wieder über die Bahn und die Steherrennen diskutiert und mein Interesse bekundet, selber als Schrittmacherin mitzufahren. Sein neckisches «Sie suchen übrigens noch» hat mich letztlich dazu bewogen, die Sache anzugehen.
Brauchen Sie zum Fahren der Motorräder eine Prüfung?
Ja. Man muss eine Schrittmacherprüfung absolvieren. Auch Steher müssen eine Prüfung ablegen. Und danach muss man eine Lizenz lösen. Aber Fahrstunden im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. Auch ein Theorieheft existiert nicht. Ich bin von einem erfahrenen Schrittmacher angelernt worden. Der hat mir alles beigebracht. Die Prüfung wurde dann von Swiss Cycling abgenommen.
Was ist der Unterschied zu einem herkömmlichen Motorrad?
Natürlich, dass man steht und nicht sitzt, man will ja für möglichst guten Windschatten sorgen. Für den sicheren Stand gibt es fest montierte Schalen, die den Beinen Halt geben. Schalten und Kuppeln funktioniert wie auf der Strasse. Speziell ist auch der Lenker, der fast parallel zum Motorrad nach hinten ragt. Damit kann man keine engen Radien lenken. Beim Manövrieren im Innenfeld muss man sogar hinten auf die Fussrasten stehen, damit man den Lenker so weit bewegen kann, damit man überhaupt «reinkommt». Nur schon das will gelernt sein. Dann ist der Griff am Gas umgekehrt. Man gibt nach aussen hin Gas, weil das wegen der Handposition einfacher ist. Der Gasgriff ist ganz fein gerastert, damit man sich behutsam durch die Geschwindigkeiten «klicken» kann. Bremsen sind vorhanden, man bremst aber nicht, es ist sogar verboten! Grundsätzlich muss man sich mit dem Steher in einen steten Flow begeben. Der Helm ist auch speziell. Er verfügt über Ohrlöcher mit rückwärtsgerichteten Schalen, damit man seinen Steher von hinten auch hören kann. Auch der Lederkombi ist nicht strassentauglich. Er ist extra voluminös geschnitten, damit man möglichst optimal Windschatten spenden kann.
Was für eine Schrittmachermaschine fahren Sie?
Ursprünglich eine Yamaha 850 aus den 90er-Jahren. Den Umbau macht die Garage Küng in Nänikon. Die Motorräder müssen alle baugleich sein, mit gleicher Leistung. Es nämlich so, dass die Bahn die Motorräder vorgibt. Würde ich im Ausland fahren, müsste ich auf die dortigen Motorräder wechseln.
Wie wäre es, einen Bergpass mit einem Stehermotorrad zu fahren?
Vom reinen Fahrgefühl her wäre das vielleicht was. Aber funktionieren würde das nicht. Wie gesagt, kann man nicht wirklich lenken. Und zum Schalten müsste man immer aus den Fussrasten nach vorne zum Fussschalthebel hoppeln. In der Bahn schaltet man in den höchsten Gang, platziert die Füsse in den Fussrasten und bleibt dann im selben Gang.
Steherrennen sind Teamwork pur. Wie findet man den passenden Velopart? Und wechselt man den ab oder bleiben man ein fixes Team?
Zum Beispiel fahren Luginbühl/Atzeni als Gespann schon lange und sind super eingeschworen. Man kann seinen Partner schon wechseln, aber bessere Chancen hat man als eingespieltes Team. Jemanden zu finden, war für mich nicht einfach. Meinen Partner Steve Sommerfeld, ein erfahrener Bahnfahrer, aber ebenfalls ein Neueinsteiger als Steher, habe ich übrigens ganz neuzeitlich via Instagram gefunden.
Sie kommunizieren mit dem Radpart mit «Allez» und «Ho». Mehr braucht es nicht?
Im Prinzip nicht, nein. Man versucht, mit wenig Kommandos auszukommen. Go with the Flow ist zentral.
Wie verständigen Sie sich mit den anderen Motorradschrittmachern im Rund?
Eigentlich gar nicht. Man merkt sofort, wenn jemand schneller oder langsamer ist. Überholt wird dann oben. Und wenn drei parallel fahren heisst es für die hinteren warten, bis wieder Platz frei ist.
Sind die Velos auch speziell für den Stehersport designt?
Ja. Das Vorderrad ist viel kleiner. Und die Gabel ist wie verkehrt montiert, zeigt nach hinten. So kommt der Steher näher und besser an die Rolle. Der Lenkergriff ist anders gewickelt. Man stützt mehr auf und zieht weniger. Dann sind Sattel und Lenker mit kleinen Stangen gestützt. Es sind immer Massanfertigungen, die auf die jeweilige Fahrergeometrie angepasst sind.
Wie lange dauert ein Rennen? Der Begriff Steher leitet sich ja aus dem englischen Wort «stay» ab, im Sinne von dranbleiben, ausdauernd.
Es gibt Rennen auf Zeit oder auf Distanz. In Oerlikon fahren wir 20 bis 25 Kilometer. Das ergibt Zeiten im Bereich von ca. 20 Minuten.
Gibt es einen magischen Moment, in dem alles passt?
Dieser Flow, in dem alles passt, ist magisch. Je besser man die Linie fährt und je besser die Pace stimmt, desto besser ist das Zusammenspiel. Dieses Gefühl ist dann wie fliegen.
Welche sportlichen Ziele verfolgen Sie? Dass Steherrennen olympisch werden und Sie die Goldmedaille holen?
Olympisch kaum. Aber es gibt eine SM und eine EM. Mindestens eine Teilnahme muss Ziel sein. Aber mein Ziel ist der Start Ende Juni in Oerlikon und dann die ganze Saison erfolgreich zu bestehen. Ich möchte mich etablieren, mich technisch verbessern. Und Spass haben natürlich.
Gibt es typische Redewendungen aus dem Stehersport?
Ja! «Der ist voll von der Rolle!» – Mit diesem Satz werden Personen beschrieben, die aufgewühlt, kopflos oder ausgelaugt sind. Der Ausspruch «von der Rolle sein» stammt von den Steherrennen. Hinten am Motorrad ist an einem Gestell eine Rolle befestigt, die verhindern soll, dass der Radfahrer die vorausfahrende Maschine berührt und gleichzeitig den idealen Windschatten nutzt. Ist er von der Rolle, steht er im Gegenwind.