Lebenszyklus, Erhalt
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Neubau vs. Sanierung – Lebenszyklusvergleich anhand von Kosten und Nachhaltigkeit

Die Bauindustrie steht vor zahlreichen Herausforderungen, darunter der steigende Bedarf an Umnutzung, der Modernisierung veralteter Strukturen sowie der wachsenden Notwendigkeit, noch umweltfreundlichere Entscheidungen zu treffen. In der Abschlussarbeit im Rahmen des CAS-Betontechnologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) haben Remo Dober, Dipl. Techniker HF und Ralph Ehrbar, Dipl. Bauleiter Hochbau unter der Leitung von Bernhard Schranz, Dipl.-Ing. Dr. sc. ETH Zürich eine tiefgehende Analyse durchgeführt, um Architekt*innen, Ingenieure*innen und Bauherrschaften bei der Entscheidungsfindung zwischen Neubau und Sanierung zu unterstützen. Die Arbeit betrachtet die ökonomischen und ökologischen Aspekte, um eine nachhaltige Entscheidung zu ermöglichen.

Neubau vs. Sanierung – Lebenszyklusvergleich anhand von Kosten und Nachhaltigkeit

Sanieren oder Abreissen
Ob Wohnbauten, Infrastrukturbauten, Industriebauten oder auch landwirtschaftliche Bauwerke – sobald diese nicht mehr uneingeschränkt dem geforderten Nutzen entsprechen können, wird sich früher oder später die Frage stellen: Sanieren oder Abreissen? Einflüsse, welche diesen Entscheid notwendig machen, können rein ästhetischer, technischer, oder ökonomischer Natur sein. Gründe können beispielsweise sein, wenn das Gebäude seinen zugeführten Zweck nicht mehr erfüllen kann, die Tragwerksstatik beeinträchtigt ist, die optischen Ansprüche nicht mehr erfüllt werden, die Energieeffizienz nicht mehr dem Stand der Technik entspricht, der Ertrag erhöht werden soll, Umnutzungen anstehen, sowie mehr Wohnraum geschaffen werden muss.

Jährlich sehen sich also viele Bauherren in der Schweiz mit der Frage konfrontiert, ob eine Sanierung oder ein Neubau die geeignete Lösung für ihre Gebäude ist. Die Entscheidung wird oft von den initialen Investitionskosten bestimmt. Angesichts der ökologischen Belastungen und begrenzten Ressourcen in der Bauwirtschaft wird ein umfassender Lebenszyklusvergleich jedoch immer dringlicher.

Für den Entscheid – Abreissen oder Sanieren - ist es sinnvoll, nicht nur kurzfristige Aspekte wie beispielsweise Erstellungskosten, Rentabilität, Bauzeitdauer, oder die geplante Nutzung in den nächsten fünf Jahren, sondern auch langfristige Faktoren über den gesamten Lebenszyklus zu beurteilen. Dazu zählen neben Planung, Herstellung und Transport der Baumaterialien, Erstellung, Betrieb und Rückbau auch die erwarteten Instandhaltungs- und Instandsetzungsmassnahmen. Hierbei sollte auch beachtet werden, dass die Beeinflussbarkeit der entlang des Lebenszyklus auftretenden Kosten in der initialen Planung am höchsten ist.

Lebenszykluskosten (LCC) vs. Lebenszyklusanalyse (LCA)
Unter den Lebenszykluskosten (life cycle cost – LCC) versteht man die gesamten Kosten, welche ein Gebäude oder eine bauliche Anlage (ohne Grundstück) von der Planung und Herstellung bis zur Verwertung (Rückbau und Entsorgung) verursacht. Es ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, bei der nicht nur die Erstellungskosten betrachtet werden, sondern auch die Kosten, welche während der Nutzungsphase und am Ende der Lebensdauer der baulichen Anlage anfallen.

In Ergänzung dazu sagt eine Lebenszyklusanalyse (life cycle assessment – LCA) aus, wie viel CO2 sowie weitere Umwelteinflüsse beim Bau oder der Sanierung eines Bauwerkes entstehen und auf alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit einwirken. Es wird jedoch nicht nur der reine Baustoff betrachtet. Die Lebenszyklusanalyse beginnt bei der Planung und endet mit dem Erreichen der geplanten Lebensdauer des Gebäudes. Am Ende wird auch der Rückbau und die Entsorgung, oder im Idealfall die Wiederverwendung des Baumaterials oder der einzelnen Bauteile im Baukreislauf miteinbezogen.

«Die Anwendung von Lebenszyklusanalysen (LCA) und Lebenszykluskosten (LZK) in der Bauindustrie wird durch verschiedene Herausforderungen und Barrieren beeinträchtigt, darunter komplexe Leitfäden, die Notwendigkeit von Spezialwissen, begrenzte Zeit zur Einarbeitung, fehlende Anreize für den erforderlichen Aufwand sowie die Komplexität und Kosten der verfügbaren Tools. Um den Einsatz dieser Instrumente zu steigern und somit fundiertere und nachhaltigere Bauentscheidungen zu fördern, bedarf es einfacher und überzeugender Argumente, insbesondere für kleinere Eigentümer und Planer», erklärt Bernhard Schranz. «Die Arbeit kann als Richtungsweiser dienen, nicht aber als Leitfaden. Es wird gezeigt, dass Sanieren sehr oft die wirtschaftlichere und nachhaltigere Variante ist», erklärt Bernhard Schranz.

Entscheidungsgründe im Fokus: Eine Umfrage über «Sanieren oder Abreissen» in der Bauindustrie
Die Arbeit der beiden Autoren beinhaltet eine umfassende Befragung von Bauherren, Investoren, Versicherungen, Architekt*innen, Ingenieur*innen und Bauämtern, um repräsentative Faktoren für «Sanieren oder Abreissen» zu identifizieren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Alterung (46%) und die Marktanforderungen (18%) die häufigsten Gründe für einen Neubau sind. In Bezug auf Wohn-, Schul- und Verwaltungsbauten wurde die Sanierung in 74% bis 93% der Fälle gegenüber dem Neubau bevorzugt. Die häufigsten Massnahmen zur Tragwerkserhaltung waren Verstärkung/Ertüchtigung (55%) und das Erstellen neuer Tragstrukturen (15%). Nachhaltigkeitszertifizierungen (beispielsweise BREEAM, LEED, Minergie, etc.) wurden nur bei ca. 30% der Projekte angestrebt.

Zukunftsfähige Bauentscheidungen erfordern verstärkten Einsatz von LCA und LCC
Die Forschungsarbeit lieferte umfassende Erkenntnisse zur Entscheidungsfindung zwischen Sanierung und Neubau. Die beiden Autoren haben neben der Befragung im Rahmen einer Fallstudie drei aktuelle Objekte herangezogen. Hierzu wählten sie drei verschiedene Bauwerksarten aus und analysierten diese eingehend. Dazu gehören eine Autoeinstellhalle aus dem Jahr 1972 mit Tragsicherheitsdefiziten und nicht mehr zeitgemäßem Erscheinungsbild, ein Gewerbegebäude von 1998 mit einer soliden Tragstruktur, jedoch veralteter Fenster- und Fassadendämmung, sowie eine Natursteinbrücke aus den 1950er-1970er Jahren mit Sicherheitsproblemen aufgrund von Verbreiterungen und korrodierten Bewehrungen.

Die Analyse zeigt, dass Sanierungen ökologisch und wirtschaftlich oft vorteilhafter sind, insbesondere in Bezug auf Kostenersparnis und positive ökologische Auswirkungen. Die langfristige Nutzung eines Objekts spielt eine entscheidende wirtschaftliche Rolle bei dieser Wahl. Sanierungen führen zu erheblichen CO2-Einsparungen, wie beispielsweise bis zu 72% bei Wohngebäuden. Die untersuchten Objekte verdeutlichen, dass Sanierung über den Lebenszyklus betrachtet Einsparungen zwischen 3.- bis 8.- / m2 GF und Jahr im Vergleich zu Neubau ermöglicht. Erfolgreiche Sanierung setzt eine solide Bausubstanz sowie eine ein Layout der Tragstruktur voraus, die die gewünschte Nutzung oder Umnutzung zulässt, beziehungsweise müssen Änderungen daran ökonomisch tragbar sein. Obwohl Lebenszyklusanalyse und Lebenszykluskosten ein beträchtliches Potenzial für fundierte und nachhaltige Bauentscheidungen bieten, finden sie bisher in nur etwa 9% bzw. 32% der betrachteten Bauprojekte Anwendung.

Anders in Dänemark, wo bereits bei jedem Neubau eine Lebenszyklusanalyse verpflichtend durchgeführt werden muss. Gründe für die spärliche Anwendung hierzulande liegen oft in fehlendem Know-how im eigenen Betrieb, oder dass hohe zusätzliche Kosten oder lange Bearbeitungszeiten erwartet werden. Einfach zu bedienende Softwares, sowie innovative Firmenlösungen und Start-ups bieten jedoch bereits jetzt effektive Wege zum Ziel in Bezug auf Kosten und Aufwand.

Land of Sleeping Beton-Beauties
In der Schweiz gibt es bereits zahlreiche Beispiele, bei denen die Tragstruktur aus Beton wiederverwendet wurde, um Gebäuden ein zweites oder sogar drittes Leben einzuhauchen. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist das ehemalige Weinlager in Basel. Wo früher Wein gelagert wurde, sind heute Wohnungen.

©EschSintzel
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©paolacorsini
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