Die Renovation eines Industriegebäudes birgt eine Gefahr, nämlich eine so intensive Beschäftigung mit der äusseren Form, dass dabei die Struktur aus dem Blickfeld gerät. Das Architekturbüro Harry Gugger Studio hat viel Erfahrung mit Transformationen dieser Art. Der Entwurf für die Umwandlung eines alten Kleinbasler Silos in einen Komplex aus Hostel, Restaurant und Atelierräumen lässt daher erkennen, dass die Architekten die strukturelle Komplexität des Projekts verstanden haben. Das Silo Erlenmatt wurde 1912 als eines der ersten Gebäude aus Eisenbeton der Schweiz erstellt.
Der im neuen Basler Quartier Erlenmatt Ost umgesetzte Entwurf des Studios überzeugt mit Räumen, in deren frischer, effizienter Gestaltung das Wesen des ursprünglichen Gebäudes aufscheint und die gleichzeitig neuen Aktivitäten Raum bieten. «Wir haben uns der Herausforderung gestellt, für die neue Nutzung mit möglichst wenigen Eingriffen in die bestehende Struktur auszukommen», sagt Harry Gugger. So wurde die vorhandene Betonkonstruktion an den beiden Schmalseiten um zwei strukturell überzeugende Treppenaufgänge ergänzt, die auch als Fluchtwege dienen. Zusammen mit den zwei neuen Geschossdecken stabilisieren diese Kerne das Gebäude und dienen der Erdbebenertüchtigung. An anderen Stellen im Inneren des Gebäudes gliedern Gestaltungselemente aus Holz und Ziegeln den Raum und elegante, wandhohe Türen schmiegen sich an die Betonpfeiler. Nur wenige, ausgesuchte Materialien wurden verwendet. In den Zimmern des Hostels und in den Ateliers setzen Vorhänge farbige Akzente und lassen die Räume wohnlicher wirken, ohne jedoch den Industriecharakter des Gebäudes zu verbergen, der ganz eindeutig den Ton angibt.
Die Umgestaltung des historischen Silos zeigt eine spielerische Handschrift, jedoch ohne unüberlegte Eingriffe. Die Architekten waren sich des Wertes ihres «Spielzeugs» stets bewusst. Ein Raster aus pyramidenförmigen Fülltrichtern unterstreicht – als eigenwillige Decke über dem grösstenteils offenen Restaurantbereich im Erdgeschoss – den besonderen Charakter des Gebäudes. Die geschlossenen Füllöffnungen der Trichter bilden den Boden des ersten Stockwerks, in dem sich strassenseitig Gästezimmer und zur Hofseite Ateliers befinden. Das darüber liegende Geschoss, das in früheren Zeiten nur einzelnen Maschinenteilen und versprengten Kakaobohnen zugänglich war, ist nun ebenfalls nutzbar.
Von der ehemaligen Nutzung des Gebäudes zeugt seine Lage an der äussersten Grenze der Schweiz. Dort ist das Silo quasi umzingelt von abweisenden Nachbarn: einer mehrspurigen Autobahn, die das Areal halbkreisförmig umschliesst, gefolgt vom Badischen Bahnhof, der zwar auf Schweizer Hoheitsgebiet liegt, aber so dicht an Deutschland, dass er unter deutscher Regie steht. Der 1912 erbaute Speicher, der Korn, Reis oder Kakao beherbergte, gehörte einer Gesellschaft, die mehrere strategisch positionierte Lagerhäuser in dieser Region besass und im grossen Stil Waren zur Distribution in der Schweiz importierte. In gewisser Weise setzt sich diese ökonomische Vergangenheit des Gebäudes nun in seiner neuen Nutzung fort, nämlich als Herberge für junge Menschen aus aller Welt, die von hier aus die Schweiz bereisen und erkunden.
Die offenkundigste architektonische Veränderung sind die übergrossen bullaugenartigen Fensteröffnungen in der Fassade. Sie verleihen dem massigen Baukörper die Anmutung eines Schiffs – quasi als augenzwinkernde Hommage an den naheliegenden Hafen und die frühere Nutzung des Gebäudes. Licht in die zuvor fensterlose Konstruktion zu bringen und sie somit bewohnbar zu machen, war das grösste Problem, das die Architekten lösen mussten.
Wem das Ergebnis zu glatt poliert erscheint, der wird überrascht sein, dass das Gebäude auch schelmisch blinzeln kann. Nämlich dann, wenn sich seine knallblauen Sonnenschutzmarkisen wie geschminkte Lider halb über die Bullaugen senken. In diesen Momenten und in den intelligenten Anspielungen auf seine industrielle Vergangenheit – etwa dem Öffnungsmechanismus der Fenster, der auf die alten Trichterräder verweist – zeigt sich die unbefangene Fröhlichkeit des Projekts. Das «SILO», wie es die Betreiber, eine Gesellschaft namens Talent, getauft haben, ist eine spannende Kombination aus Räumen, die sich synergetisch für verschiedenste Zwecke nutzen lassen
Ausgezeichnet im Rahmen des Architekturpreises BETON 21
Harry Gugger Studio erhielt für den Umbau des Silos Erlenmatt 2021 eine Auszeichnung im Rahmen des Architekturpreises BETON. Der Fortbestand einer der frühen Stahlbetonkonstruktionen der Schweiz ist das beste Beispiel für die Langlebigkeit und Robustheit von Betonbauten. Harry Gugger Studio gelang es, die Stahlbetonstruktur weitgehend zu erhalten. Dank überaus sensiblen Eingriffen trägt das Silogebäude einen wichtigen Teil der Quartiergeschichte in die Zukunft.
Facts & Figures
Projektbeginn:
2016
Realisation:
2020
Architekten:
Harry Gugger Studio AG, Basel
Ingenieure:
Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Basel
Bauherrschaft:
Stiftung Habitat, Basel
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