Projekte, Recyclingbeton
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Vom Gleisfeld zum urbanen Stadtquartier

Die Rösslimatt in Luzern ist eines der ambitioniertesten Stadtentwicklungsprojekte der Schweiz: Wo früher Güterzüge rollten, entsteht bis 2040 ein zukunftsfähiges Quartier für Bildung, Arbeit und Leben. BETONSUISSE sprach vor Ort mit den beiden Gesamtprojektleitern der SBB – Ronny Reuther (Baufeld A) und Niklaus Wüthrich (Baufeld B+C) – über nachhaltige Bauweisen, Beton aus regionaler Produktion und die Herausforderungen des Bauens im Zentrum einer wachsenden Stadt.

Vom Gleisfeld zum urbanen Stadtquartier

Über die Rösslimatt
Die Rösslimatt in Luzern erlebt eine beeindruckende Transformation. Was einst durch Gleisfelder geprägt war, entwickelt sich nun zu einem nachhaltigen, lebendigen Stadtquartier. Im Jahr 2013 legten die SBB und die Stadt Luzern mit einer städtebaulichen Studie und einem darauf basierenden Gestaltungsplan den Grundstein für die Zukunft des 42.000 Quadratmeter grossen Areals. Bereits ein Jahr später erhielt die erste Etappe der Rösslimatt von EnergieSchweiz das Zertifikat «2000-Watt-Areal in Entwicklung».

Bildung und Innovation im Herzen Luzerns
Bis 2040 wird das Rösslimatt-Areal umfassend umgestaltet, beginnend mit den Baufelder A und B/C. Der Baukomplex auf Baufeld A ist fünfgeschossig, 200 Meter lang und 30 Meter breit, mit einer Nutzfläche von über 16.000 Quadratmetern. Vor Baubeginn musste ein über 100 Jahre alter Güterschuppen rückgebaut werden. Der schwierige Baugrund erforderte über 600 Pfähle zur Lastabtragung. Hauptmieter im Baufeld A ist die Hochschule Luzern. Grösster Mieter auf dem Baufeld B/C ist MSD Merck Sharp & Dohme (MSD), eines der weltweit grössten forschenden biopharmazeutischen Unternehmen. Die Erdgeschosse der beiden Gebäude sind öffentlich und werden Geschäftslokale und Dienstleistungsangebote beherbergen. Die Aussenräume werden durch ihre attraktive Gestaltung eine hohe Aufenthaltsqualität bieten.

Logistik und Verkehr: Herausforderungen einer Grossbaustelle
Die Bauarbeiten in einem innerstädtischen Bereich bringen besondere Herausforderungen mit sich. Um den normalen Verkehr möglichst wenig zu beeinträchtigen, wurde die Logistik sorgfältig geplant. Anlieferungen erfolgten zu verkehrsarmen Zeiten, spezielle Zufahrtswege wurden genutzt und temporäre Verkehrsführungen eingerichtet. Massnahmen zur Lärm- und Staubreduzierung sorgten dafür, dass die Belastung für Anwohner und Verkehrsteilnehmer minimal blieb.

Die Stärken des Betons optimal genutzt

  • Kurze Transportwege dank Regionalität
  • Ressourcenschonung dank Recyclingbeton (Bei diesem Projekt kam unter anderem RC25 zum Einsatz. Das heisst, dass bei 1 m3 Beton 25 % des Primärkies durch Betongranulat aus dem Rückbau ersetzt worden ist. Dies entspricht rund 600 Kg /m3)
  • Einsatz von CO2-reduzierten Zementen
  • Langlebige und flexibel umnutzbare Strukturen

Nachhaltiges Materialmanagement
Ein besonderes Augenmerk lag auf dem Materialmanagement beim Rückbau des alten Güterschuppens. Die anfallenden Materialien wurden sorgfältig getrennt und entweder recycelt oder wiederverwendet – von Küchen und Mobiliar bis hin zu Veloständern und Backsteinen. Dies entspricht den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft, die ein zentraler Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie der SBB ist.

Bauweise und Materialien: Nachhaltigkeit im Fokus
Die SBB setzte klare Vorgaben zur Nachhaltigkeit und Reduktion der Umweltbelastung. Umweltfreundliche, rezyklierbare und energieeffiziente Materialien wurden bevorzugt, um den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren. In verschiedenen Bereichen des Projekts kam Recyclingbeton zum Einsatz.

Recyclingbeton: Ein Schritt zur Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit
Der Beton für das Projekt stammt von regionalen Lieferanten, um die Transportwege kurzzuhalten und den ökologischen Fussabdruck zu minimieren. Die Verwendung von Recyclingbeton bietet mehrere Vorteile: Sie reduziert den Bedarf an Primärrohstoffen und das Deponievolumen durch das Recycling von Abbruchmaterial. Diese nachhaltige Bauweise unterstützt die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft und trägt zur Schonung natürlicher Ressourcen bei.

Dennoch brachte der Einsatz von Recyclingbeton auch Herausforderungen mit sich. Es galt, eine gleichbleibende Qualität und Festigkeit des Betons zu gewährleisten sowie die Mischrezepturen und Bauverfahren an die spezifischen Eigenschaften des Recyclingbetons anzupassen. Diese Herausforderungen konnten durch enge Zusammenarbeit mit Fachleuten und ständige Qualitätskontrollen gemeistert werden. Recyclingbeton kann heute für jegliche Anforderungen im Hochbau eingesetzt werden. Auch für statische Bauteile.

Lebenszyklusanalysen und Ökobilanzen
Für das Projekt Rösslimatt wurden umfangreiche Lebenszyklusanalysen durchgeführt. Diese Analysen ermöglichten es, die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen der Baumaterialien und Bauweisen über den gesamten Lebenszyklus zu bewerten und zu optimieren. Die Ergebnisse zeigten eine deutliche Reduktion der CO₂-Emissionen und des Energieverbrauchs, was zu einer verbesserten Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit und Wertbeständigkeit der Gebäude führte.

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt
Die Rösslimatt verfolgt das Konzept der 15-Minuten-Stadt, in der Wohnen, Arbeiten und Freizeit an einem zentralen Ort zusammengeführt werden. Eine vielfältige Nutzungsmischung und eine gut ausgebaute Infrastruktur für den Langsamverkehr, Mobility-Sharing-Angebote und eine optimale Anbindung an den öffentlichen Verkehr gewährleisten die Vernetzung innerhalb des Quartiers und mit den umliegenden Stadtteilen. Grosszügige öffentliche Räume und Plätze dienen als Begegnungs- und Erholungszonen und fördern eine lebendige Quartierstruktur.

Nachhaltigkeit auf allen Ebenen
Neben dem Einsatz von Fernwärme, Photovoltaik und Mobilitätskonzepten wurden weitere Massnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit umgesetzt. Dazu zählen Regenwassernutzungs- und Versickerungsanlagen sowie hochgedämmte Fassaden und Fenster. Die Entwicklung ist als 2000-Watt-Areal zertifiziert und die Gebäude erfüllen die Ziele der Schweizerischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (SGNI) auf der Stufe Silber.

Die Rösslimatt ist ein Paradebeispiel dafür, wie nachhaltige Stadtentwicklung gelingen kann – ein Ort, der nicht nur zum Arbeiten und Studieren einlädt, sondern auch eine hohe Lebensqualität und attraktive Aufenthaltsbereiche bietet.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Facts & Figures (Rösslimatt Luzern, erste Etappe)

Bauherrschaft:
SBB AG, Immobilien Development, Anlageobjekte Mitte, Olten

Architektur:
Rolf Mühlethaler Architekt bsa sia, Bern (Baufeld A), Demuth Hagenmüller & Lamprecht Architekten GmbH / Alessandra Villa Architektur (Baufeld B und C)

Vermietbare Fläche Baufeld A:
rund 21300 m2

Baufeld B und C:
rund 16500 m2

Fertigstellung:
2025

BETONSUISSE befragte den Geschäftsführer der Seeverlad + Kieshandels AG (Seekag) Stefan Tresch. Die Seekag lieferte den Beton für die Rösslimatt.

Auf welchem Weg werden die Rohstoffe für die Betonherstellung zu Ihrem Werk transportiert?
Bei der Seekag wird der Sand und Kies 90% per Bahn oder Schiff angeliefert, der Zement kommt zu 98% per Bahn. Zusatzmittel Hochleistungsverflüssiger werden mit Tankfahrzeuge zu unserem Werk transportiert. Wasser entnehmen wir vom See, sämtliches Schmutzwasser wird rezykliert und dem Kreislauf wieder hinzugeführt.
 

Im Projekt Rösslimatt lagen die Transportwege für den Beton unter 500 Metern. Warum sind kurze Transportwege bei Bauprojekten von grosser Bedeutung
Damit reduzieren wir den CO2-Ausstoss auf ein Minimum und schonen die Strassen und die Infrastruktur der Stadt Luzern, durch die kurzen Transportdistanzen vom Werk Seekag zu den verschiedenen Baustellen, ersparen wir der Stadt Luzern jährlich über 480‘000 LKW km.
 

 

Wie hat Ihr Betonwerk dazu beigetragen, den CO₂-Fussabdruck zu reduzieren und die Ressourcenschonung zu fördern?
Durch optimierte Betonsorten (Presyn uno oder eco) mit RC-Betongranulat und mit dem Einsatz von reduzierten Klinker-Zementen CEM II (Optimo) und Z/ND (Susteno) leisten wir einen beträchtlichen Anteil zur Schonung der Umwelt.

Stefan Tresch, Geschäftsführer der Seeverlad + Kieshandels AG (Seekag)
Stefan Tresch, Geschäftsführer der Seeverlad + Kieshandels AG (Seekag)
Aktuelles Webcam Bild Sommer 2024 Baufeld B&C
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Aktuelles Webcam Bild Sommer 2024 Baufeld A
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