Projekte, Nachhaltigkeit
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Glasi-Quartier Bülach: Ein Modell für nachhaltige Stadtentwicklung

2002 endete nach 111 Jahren die Produktion in der Glashütte Bülach. Was zurückblieb, war ein Areal mit reicher industrieller Geschichte, bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Bülach befindet sich in einem rasanten Wandel, vom grossen Dorf zur Stadt. Das Glasi-Quartier ist ein entscheidender Baustein dieser Transformation.
 

Glasi-Quartier Bülach: Ein Modell für nachhaltige Stadtentwicklung

2013 lud der Entwicklungspartner Steiner AG in Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft Logis Suisse AG und der Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ) elf Teams zu einem städtebaulichen Wettbewerb ein. Das Siegerprojekt, «21 Schräge Typen» von Duplex Architekten, leitete die Transformation ein. Mit einer gelungenen Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeitangeboten erfüllt es viele Kriterien einer 20-Minuten-Stadt. Heute ist das Glasi-Quartier ein lebendiger Stadtteil mit 22 Gebäuden, 20’000 Quadratmetern Gewerbefläche und 583 Wohnungen. Doch wie nachhaltig ist dieses moderne Quartier?

Städtebau und Architektur: Ein Balanceakt
Das städtebauliche Konzept von Duplex Architekten zielte darauf ab, Dichte und Lebensqualität in Einklang zu bringen. Die Gebäude sind so angeordnet, dass sie spannende Stadträume schaffen, mit Plätzen, Gassen und Strassen, die das Quartier durchziehen. Trotz der hohen Dichte wirkt das Viertel durchdacht und offen. Adrian Aeschbacher von Studio Vulkan beschrieb einst das Prinzip der Gestaltung so: «Die verschiedenen Bausätze addieren sich über das Ensemble hinweg in unterschiedlichen Kombinationen. Das macht das Ganze interessant.» Die Differenzierung zwischen Wohn- und Gewerbebereichen verleiht dem Quartier Struktur und Identität.

Ein lebendiger Stadtteil mit sozialem Mehrwert
Nachhaltigkeit zeigt sich im Glasi-Quartier auch auf sozialer Ebene. Die Vielfalt der Wohnangebote – von Eigentumswohnungen über gemeinnützige Mietwohnungen bis hin zu speziellen Wohnformen für verschiedene Lebensphasen – fördert eine Durchmischung der Bewohnerschaft. Das schafft Begegnungen und Gemeinschaft. René Fuhrimann von der BGZ betont die Bedeutung von Nachbarschaftsengagement und sozialen Aktivitäten, die von Anfang an gefördert wurden. Dank Willkommensanlässen und Quartier-Apps entstand schnell ein lebendiges Gemeinschaftsleben.

Optimierungspotenziale
Die ökologischen Aspekte des Projekts zeigen sowohl Stärken als auch Schwächen. Positiv hervorzuheben ist die zentrale Holzschnitzelheizung, die mit lokalem Holz betrieben wird. Diese Entscheidung trägt erheblich zur Reduzierung des CO2-Fussabdrucks des Quartiers bei. Allerdings könnte aus heutiger Sicht noch stärker auf den dritten Aspekt der Nachhaltigkeit, den ökologischen Faktor, geachtet werden. Potenzielle Einsparungen wären beispielsweise durch einfachere Lastabtragungen, kleinere Spannweiten, dünnere Decken oder Kombinationen von Baustoffen möglich. Solche Massnahmen würden nicht nur den Materialverbrauch senken, sondern auch den ökologischen Fussabdruck eines Gebäudes verringern.

Zukunftsperspektiven: Lernen aus der Vergangenheit
Ein Learning aus dem Glasi-Quartier ist also die Notwendigkeit, zukünftige Bauprojekte ökologisch nachhaltiger zu gestalten. Dies beinhaltet den gezielten Einsatz von Materialien nach dem Prinzip «jeder Baustoff am richtigen Ort». Robuste Strukturen tragen zur Nachhaltigkeit bei, da sie über lange Zeiträume genutzt werden können, ohne dass sie bereits nach einigen Jahren wieder rückgebaut und neu erstellt werden müssen. Eine flexible Raumplanung unterstützt zudem eine spätere Umnutzung, was die Lebensdauer der Gebäude verlängert und somit Ressourcen schont.

Was ist geblieben
Das Projekt überzeugt sowohl durch seine sozialen als auch ökonomischen Qualitäten, was im Jahr 2023 auch von der Fachzeitschrift Hochparterre anerkannt wurde. Das Glasi-Quartier wurde zusammen mit 25 weiteren Projekten als potenzieller Anwärter für den «Architekturpreis Goldener Hase» nominiert. Die gelungene Kombination aus Wohn- und Gewerbeflächen, die Förderung des Gemeinschaftslebens und die Nutzung lokaler Ressourcen sind herausragende Beispiele für nachhaltige Stadtentwicklung. Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Projekt ist die Notwendigkeit, zukünftige Bauvorhaben noch stärker auf ökologische Nachhaltigkeit auszurichten.

Drei Fragen an die Leiterin Bau & Entwicklungen bei Logis Suisse AG

Wie haben sich die architektonischen Prinzipien im Glasi-Quartier bewährt? Welche Erfahrungen haben Sie seit der Fertigstellung gemacht?
Das städtebauliche Konzept mit Strassen, Gassen und Plätzen hat sich als Prinzip für hohe Dichte aus unserer Sicht bewährt. Das Prinzip der Enge und Weite ist auch in den Wohnungen spürbar. Die Wohnungen sind so organisiert, dass sie jeweils immer über Fernsicht auf einen Platz oder in eine Gasse haben. Als wichtiger Grundsatz wurde festgelegt, dass im Erdgeschoss nicht gewohnt wird. Gewerbe- und Gemeinschaftsflächen beleben den Strassenraum. Nur an ausgezeichneten Lagen im Hochparterre wird gewohnt.

Gibt es Anforderungen, die Sie bei Bauprojekten fordern?
Wir realisieren heute immer noch Projekte im Massivbau, achten aber darauf, dass wir bezüglich grauer Energie gute Werte erreichen können, d.h. einfache Lastabtragung, kleine Spannweiten, dünne Decken.

Welche Rolle hat das Thema Verdichtung bei der Planung gespielt?
Es war von Beginn an das Ziel, die Ressource Boden optimal einzusetzen und möglichst viel attraktiven Wohn- und Gewerberaum zu schaffen. Bei Logis Suisse und BGZ natürlich vor allem viel bezahlbaren Wohnraum!

Marianne Dutli, Leiterin Bau & Entwicklungen
Marianne Dutli, Leiterin Bau & Entwicklungen

Über

Logis Suisse AG
Die Logis Suisse AG setzt sich für fairen Wohn- und Lebensraum ein. Sie entwickelt und realisiert bedarfsgerechten und preisgünstigen Wohnraum für eine breite Bevölkerungsschicht.

Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ)
Seit über 80 Jahren schafft die BGZ hochwertigen und erschwinglichen Wohnraum in der Stadt Zürich und Umgebung, der allen Bevölkerungs- und Einkommensschichten offensteht. Mögliches Zitat von Philipp Furrer, Geschäftsführer Baugenossenschaft Glattal Zürich: Die abwechslungsreiche Architektur und die gelungene Gestaltung des Aussenraums tragen zu einem lebendigen, urbanen Quartier bei.

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