Projekte, Bauteilaktivierung
3 Min.

Nachhaltige Verdichtung im urbanen Wohnbau

Das Besondere am Gebäude der Genossenschaft Kalkbreite: Wohnen, Theater, Alters-WG, ein Regenbogenhaus und Kultur sind im Zollhaus, direkt an der Gleis-Terrasse, in drei Bauteilen vereint. Die Speichermasse von Beton wird zum Heizen und Kühlen genutzt.

Nachhaltige Verdichtung im urbanen Wohnbau

Auf der Himmelsleiter

Von der Schmalseite des Gebäudes aus erschlossen, zieht sich hier eine gerade Treppe, die sogenannte Himmelsleiter, über alle Schrägen hinweg. An jedem Zwischenpodest gehen beidseitig Eingänge zu den Cluster- und Einzelwohnungen bzw. Wohngemeinschaften ab. Am Ende der ersten Treppe befinden sich eine grosse Gemeinschaftsküche und ein gemeinsames Wohnzimmer, das über einen Laubengang und eine Gebäudebrücke auch die Verbindung zum Gartenhaus herstellt. Am Ende des ersten Treppenflurs schliesst die gegenläufige, zweite Himmelsleiter an, die die oberen Waben erschliesst und nach einem letzten Wendepodest auf die gemeinsam nutzbare, kleine Dachterrasse führt.

«Die Hexagonalstruktur erlaubt intelligente räumliche Verschachtelungen und ermöglicht unzählige Kombinationsmöglichkeiten von Raumeinheiten», so Haimerl. Jede Wabe ist im Querschnitt gleich dimensioniert: Die Wabenform mit einer Raumhöhe von 2,65 Metern und spitzen Winkeln von 36,2 Grad vergrössert aufgrund spezieller Möbeleinbauten, die Peter Haimerl ebenso entworfen hat, mit denen auch die Schrägen bewohnt werden können, Nutzfläche wie Wohnraum. Schräge Decken erweitern so die nutzbare Bodenfläche, bieten maximalen Stauraum entlang der Innenwände und integrieren platzsparende Einrichtungsgegenstände. Das Möbelsystem ermöglicht, die Nischen effektiv zu nutzen. Teil der Grundausstattung jeder Wohnung ist eine keilförmige Sitzbank mit integriertem Stauraum. Sie ist so positioniert, dass auch andere vom Büro Haimerl entworfene Möbel, wie schwebende Betten, Sitzkissen oder ausziehbare Tische, dort Platz finden können. Auf diese Weise werden die beiden Wabennischen zu individuell möblierten Rückzugsorten, während der Bereich dazwischen frei bespielbar bleibt. Zusätzlich bieten die Nischen Platz für verschiedene Einbauschränke und Küchen, die teilweise in die Schrägen integriert sind. Die flexibel platzierbaren Sitzkissen ermöglichen eine spielerische Aneignung der Wohnung. Aufgrund des offenen Grundrisses wie auch der grossflächigen Verglasung und der beiden vorgelagerten Loggien als auch durch die Breite des Raums von 6,65 Metern wirkt die Wabe grosszügig und hell.

Das Wabenhaus bietet auch wirtschaftliche und nachhaltige Vorteile. Der Verzicht auf überschüssige Wände und die Integration der geneigten Flächen führen zu herausragender Wirtschaftlichkeit, ohne die Lebensqualität zu beeinträchtigen. Die vorgefertigten Wabenmodule steigern die Effizienz, erleichtern Bauprozesse und minimieren Materialverschwendung.

Mit seinem vielfältigen Raumangebot für Wohnen, Arbeiten, Gewerbe, Dienstleistungen, Kultur und Gemeinschaft verkörpert das Zollhaus einen lebendigen Ort, der sich dem Quartier öffnet und neue Möglichkeiten des Zusammenlebens erprobt. Das Zollhaus umfasst, wie auch schon die Wohn- und Gewerbesiedlung Kalkbreite, rund 40 Prozent gewerbliche Fläche. Das ist im Vergleich zu anderen Wohnbaugenossenschaften unüblich. Die Genossenschaft Kalkbreite ist von dem Konzept der Wohn- und Gewerbesiedlungen überzeugt. Sie wollen Wohnraum erhalten und schaffen, wo die Gentrifizierung am heftigsten ist – sprich in Zentrumsnähe. In den Kreisen 4 und 5 in Zürich sind die Grundstücke sehr lärm-exponiert, weshalb in gewissen Gebäudezonen nicht gewohnt werden darf. Das trifft auf das Zollhaus mit seiner Lage an den Gleisen und an der Langstrasse gleich mehrfach zu. Wohnen, Arbeiten und Kultur sollten verschränkt werden, weil die unmittelbare Nähe von Veranstaltungs- und Gastrolokalen, Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungsangeboten erfahrungsgemäss die Wohnqualität erhöht. Während man in Zürich nach wie vor jede Wohnung fast zu jedem Preis vermieten kann, ist die Bewirtschaftung von Gewerbeflächen sehr aufwendig. Insbesondere dann, wenn man den Anspruch hat, dass die Gewerbemietenden dem Quartier etwas bieten und es lebendiger machen.

1. Dachterrasse, 2. Wohnungen, 3. Hof, 4. Hallenwohnung, 5. Pensionszimmer, 6. Flexraum, 7. Flexräume, 8. Gemeinschaftsraum und Bar, 9. Gleis-Terrasse, 10. Haupteingang, 11. Haupteingang Theater, 12. Forum, 13. Küche Restaurant Osso
1. Dachterrasse, 2. Wohnungen, 3. Hof, 4. Hallenwohnung, 5. Pensionszimmer, 6. Flexraum, 7. Flexräume, 8. Gemeinschaftsraum und Bar, 9. Gleis-Terrasse, 10. Haupteingang, 11. Haupteingang Theater, 12. Forum, 13. Küche Restaurant Osso

Verbindender Sockelbau

Das mehrstöckige Forum im Hauptgebäude im Haus A (Ecke Lang-/Zollstrasse), also in dem die drei Häuser verbindenden Sockelbau, spielt in dem Zollhaus die Hauptrolle. Die Dreiteilung des Gebäudes war eine Vorgabe der Stadt. Das Kernstück der neuen Bebauung ist das Forum, das über drei Geschosse reicht. Oberlichten und Lufträume, welche sich bis an die Fassade erstrecken, bringen Licht ins Innere. Über diesem vielfältig nutzbaren Foyer sind im ersten und zweiten Obergeschoss extrovertierte Nutzungen wie mietbare Flex-Meetingräume, das Guesthouse und eine Arztpraxis untergebracht, darüber befinden sich um einen Innenhof gruppierte Wohnungen (u. a. grosse, überhohe Hallenwohnungen). Zwei Treppenhäuser erschliessen die in Haus B angesiedelten Molekularwohnungen. Haus C dient aufgrund seiner Proportionen und exponierten Lage nicht dem Wohnen. Parallel zu den Gleisen verbindet die sogenannte Gleis-Terrasse alle drei Häuser miteinander. Das schmale Areal, das sich in Ost-West-Richtung entlang der Bahngleise erstreckt, bietet kaum unversiegelte Aussenräume. Die Gebäude sind im Minergie-Eco-Standard gebaut, das ist der Schweizer Standard zum kreislauffähigen und ökologischen Bauen. Alle Wohnungen weisen eine kontrollierte Lüftung auf. Die Wärme wird mittels Grundwasserwärmepumpen erzeugt und über eine Fussbodenheizung verteilt. Im Sommer wird kaltes Wasser durchgeführt, um so eine Kühlung zu erzeugen. Der Beton dient dabei als Speichermasse.

 

Autorin: Dr. Gisela Gary, Chefredakteurin Magazin Zement+Beton. Dieser Beitrag stammt aus der Publikation «Zement+Beton» der Zement und Beton Informations GmbH und wurde uns dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.

Wir wollten es genauer wissen und haben bei der Genossenschaft Kalkbreite nachgefragt:

Welche gemeinschaftlich genutzten Räume und Flächen bietet das Zollhaus den Bewohnern und wie werden diese angenommen?
Diese Räume und Flächen umfassen Bewegungsraum, Holzwerkstatt, Nähzimmer, Dachterrassen, Fasssauna Zollhaus, Forum, Gleisterrasse, Kindergartendach 111, Lichtmaterial, Malatelier, Musikraum und werden von den Bewohnern und Bewohnerinnen in Arbeits- und Betriebsgruppen organisiert und selbst verwaltet. Zudem stehen gegen Bezahlung den Mieter und Mieterinnen das Guesthouse und die Meeting-Räume zu einem reduzierten Preis zu Verfügung sowie Co-Working-Arbeitsplätz.

Welche weiteren ökologischen Massnahmen wurden im Bau und Betrieb des Zollhauses implementiert, um den Minergie-Eco-Standard zu erfüllen?
Beton dient als Speichermedium, wobei im Sommer kaltes Wasser durch die Fussbodenheizung geleitet wird, um die Räume zu kühlen. Jede Wohnung ist zudem mit einer kontrollierten Lüftung ausgestattet. Die Wärmeversorgung erfolgt durch Grundwasserwärmepumpen. Das Gebäude ist mit einer Photovoltaikanlage ausgerüstet. Ein weiterer zentraler Aspekt der nachhaltigen Betriebsweise ist, dass das Zollhaus eine autofreie Siedlung ist, wobei alle Mieter und Mieterinnen eine Autoverzichtserklärung abgeben.

Wie fördert das Zollhaus das soziale Miteinander?
Das wird einerseits durch die soziale Durchmischung in der Vermietung gefördert, als auch mittels der Selbstorganisation für die Gemeinschaftsräume, der Mieter und Mieterinnen Versammlung (Zollhausversammlung) sowie unsere Partizipationsstelle «Die Ganze Breite».

Ist bezahlbarer Wohnraum und Nachhaltigkeit ein Widerspruch?
Nein. Nachhaltigkeit in all seinen Dimensionen ist die DNA der Genossenschaft Kalkbreite. Gebaute und gelebte Nachhaltigkeit ist unser identitätsstiftendes Merkmal.

Wie trägt das Zollhaus zur städtischen Verdichtung bei und welche Vorteile sehen Sie in der Integration von Wohnen, Arbeiten und Kultur in einem Gebäude?
Der durch seine industrielle Geschichte geprägte Kreis 5 hat sich in den letzten zwanzig Jahren stark gewandelt. Damit einher ging ein «Aufwertungsprozess», der eine weitgehende Entmischung der Bevölkerung sowie die Verdrängung von Kleingewerbe zur Folge hatte. Mit dem Zollhaus und den Zielsetzungen eines vielfältigen Nutzungsmixes aus Wohnen und Gewerbe sowie einer breiten sozialen Durchmischung setzt die Genossenschaft Kalkbreite in dieser Lage ein Zeichen gegen die sonstige Entwicklung auf dem innerstädtischen Wohnungsmarkt. Möglich wird dies mit einem im Vergleich zum Zürcher Durchschnitt reduzierten Flächenbedarf bei der Wohn- und Gewerbenutzung, niedrigen Baukosten, der Vermietung von Flächen zur Kostenmiete und einer Differenzierung der Mieten nach Lageklassen. Um eine Reduktion des individuellen Raumbedarfs zu erreichen, sind gemeinschaftlich und flexibel nutzbare Flächen zentral.

  • Nutzungsmix: horizontaler und vertikaler gross- und kleinteiliger Nutzungsmix von Wohnen (60%) und Gewerbe (40%).
  • Molekulares Wohnen: flexible und zusammenschaltbare Wohneinheiten mit Gestaltungsfreiheit der NutzerInnen.
  • Teilen und gemeinschaftlich Nutzen: Genügsamkeit sowie Wohnen, Arbeiten und Leben mit 2000 Watt.
  • Durchdringungen: Freiraumkonzept mit privaten, gemeinschaftlichen, halböffentlichen und öffentlichen Räumen

Danke für das Gespräch.

Facts & Figures

Auftraggeber:
Genossenschaft Kalkbreite

Realisierung:
2015 -2021

Kategorie:
Wohnen und Gewerbe

Nutzfläche:
4.864 m2 Wohnen, 3.470 m2 Gewerbe und Kultur

Bausumme:
8.8 Mio.

Architektur:
Enzmann Fischer Partner AG

Umgebungsplanung:
koepflipartner

Baumanagement:
ffbk Architekten AG

Statik:
HKP Bauingenieure AG

Bauleitung:
ffbk Architekten AG

Bauphysik:
Bakus Bauphysik & Akustik GmbH

Fassadenplanung:
gkp fassadentechnik ag

Landschaftsarchitektur:
koepflipartner – Landschaftsarchitekten

Auftragsart:
Wettbewerb im offenen Verfahren

Baumeister:
Streuli Bau AG

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