Beton-People, Interview
6 Min.

Beton statt Barrique

Unter einem schönen Weinkeller stellt man sich ein geräumiges Gewölbe vor, in dem perfekt aufgereiht dutzende Holzfässer lagern, um gewöhnlichen Rebensaft in einen grossartigen Jahrgang zu verwandeln. Dass dieser Effekt auch mithilfe von Beton erzielt werden kann, mag zunächst ungewöhnlich klingen. Doch wenn man bedenkt, dass der Wein in der Antike in Tonamphoren aufbewahrt wurde, erscheint der Ausbau in irdenen Behältnissen nicht mehr so abwegig. Zugegeben, ein Betonfassweinkeller mit überdimensionalen Beton-Eiern wirkt auf den ersten Blick exotisch. Könnten diese Eier vielleicht von einem ausserirdischen Riesenosterhasen im Keller versteckt worden sein?

 

Beton statt Barrique

Ein Hersteller von Betoneiern ist die Firma Nomblot im Burgund. Neben quadrischen Bottichen vertreibt das Unternehmen seine Eier sogar bis nach Chile.

Die Ovoid-Form der Betoneier ist das eigentliche Ei des Kolumbus. Neben der Tatsache, dass diese Form dem goldenen Schnitt folgt und somit die perfekte Proportionsharmonie verkörpert, erzeugt sie auch verschiedene Weintemperaturen aufgrund unterschiedlicher Volumina und materialbedingter Temperaturunterschiede. Dies führt zu einer Wirbelbewegung, die die Schwebestoffe im Wein umwälzt, ohne dass man den Wein umrühren müsste. Der Entwicklung von Körper und Struktur geschieht ganz von selbst.

Beton statt Barrique

Harter Beton für schonende Vinifizierung
Die Vorzüge des Zements treten nun in den Vordergrund. Die leicht poröse Struktur natürlichen Zements, bestehend aus Kalzium und Ton, begünstigt dank minimalem Sauerstoffaustausch eine Mikrooxydation, die dem Wein sehr zuträglich ist. Die hohe thermische Masse des Betons, kombiniert mit der Wirbelbewegung des Weins, wird zunehmend von Winzerbetrieben geschätzt. Ein weiteres Merkmal ist der bewusste Verzicht auf die Verwendung von Armierung. Die Betonbehälter sind von Natur aus stabil genug. Armierungseisen würden einen «Faradayschen Käfig»[1] bilden und die mikrobiologischen Prozesse im Wein stören.

Problematische pH-Werte in den Griff bekommen
Die natürliche Säure des Weins neigt dazu, den Beton anzugreifen und Partikel davon in den Wein zu lösen. Um dem vorzubeugen, bedarf es einer Beschichtung der Innenwand mit einer Lösung oder Paste aus Weinsäure. Dabei ist die Herausforderung, den Sauerstoffaustausch weiterhin zu gewährleisten. Je nach Behälter ist oft mehrfaches, präzises Auftragen erforderlich.

Jussy setzt auf Betonwein
In der Schweiz hat der Weinausbau im Beton Anhänger. Ein Vorreiter in diesem Bereich ist die Domaine Château L’Évêque in Jussy, Kanton Genf. Martine und Alexandre Mévaux sind engagierte Verfechter des biodynamischen Weinbaus nach Demeter-Richtlinien – und überraschenderweise spielt Beton eine bedeutende Rolle in ihrem Konzept.

Natur für himmlische Tropfen
Das Bio-Label Demeter trägt den Namen der griechischen Göttin, die für die Fruchtbarkeit der Erde steht. Für Familie Mévaux bildet die Erde, das Terroir, die Grundlage für authentischen und naturbelassenen Wein. Sie setzen auf bewährte Praktiken statt Industrie-Dünger und Pestizide.

Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Anwendung von Kuhhornmist: Kuhmist wird in Kuhhörner gefüllt und über den Winter vergraben, um vor Ostern als wertvoller Bodenstoff wieder ans Tageslicht zu kommen. Dieser wird mit aktiviertem Regenwasser gemischt und auf die Felder ausgebracht. Das Horn soll irdischen Kräfte bündeln, die das Bodenleben vitalisieren.

Eine weitere Methode ist die Verwendung von fein gemahlenem Quarz, ein siliziumhaltiges Mehl, das die Fotosynthese in den Reben stimuliert.

* [1] Der Begriff Faradayscher Käfig bezieht sich darauf, dass die Verwendung von Armierungseisen in den Betonbehältern zu einer Abschirmung von elektrischen und elektromagnetischen Einflüssen führen würde, ähnlich wie bei einem Faradayschen Käfig. Dies könnte die mikrobiologischen Prozesse im Wein stören, die auf natürliche Weise ablaufen sollen. Daher wird in diesem Zusammenhang bewusst auf die Verwendung von Armierung verzichtet, um die natürlichen Weinprozesse nicht zu beeinträchtigen.

2sp Bilder: Beton statt Barrique
2sp Bilder: Beton statt Barrique

Martine und Alexandre Mévaux betrachten diese traditionellen Methoden als Ausdruck eines integrierten, biologischen Weinbau, der ihnen sehr am Herzen liegt.

2sp Bilder 2: Beton statt Barrique
2sp Bilder 2: Beton statt Barrique

Wir haben bei der bezaubernden Domaine Château L’Évèque in Jussy nachgefragt, ob die Inspiration für sie zuerst vom Wein oder vom Ei ausging und wie sich Beton mit dem Konzept des biodynamischen Weinbaus verknüpft.

2sp Bilder 3: Beton statt Barrique
2sp Bilder 3: Beton statt Barrique

Warum fiel Ihre Wahl auf Beton?
Der Ratschlag eines Freundes gab den Ausschlag. Er ist wie wir biodynamischer Winzer und hat uns erläutert, warum sich Beton für unsere Art der Weinbereitung besonders gut eignet. Danach haben wir auf Beton umgestellt.

Welche Vorzüge bringt das mit sich?
Die Harmonie zwischen Wein und Tank ist ideal, um das Lebendige im Wein zu fördern. Die Mineralität, gerade bei Weissweinen, kommt schön hervor und der Wein wird straffer, direkter.

Was geschieht genau mit Ihren Weinen im Betonei?
Der fein dosierte Sauerstoffausgleich und die durch die Eiform des Tanks begünstigte Bewegung im Wein fördert die lebendige Energie, die dem Wein innewohnt.

Welche Weine eignen sich besonders für den Ausbau mit Beton?
Grundsätzlich alle! Aber es gibt verschiedene Fasstypen für verschiedene Weine.

Gibt es geschmackliche Vorzüge? Was kennzeichnet einen Wein aus dem Betontank?
Die Vinifizierung im Betontank hilft uns, eine schöne Mineralität und Spannung zu entwickeln, die wir aus unseren bionynamisch angebauten Trauben herausarbeiten möchten. Der Betontank ist einer der Schlüssel, um die Authentizität und das Terroir, auf dem die Reben wachsen, zur Geltung zu bringen.

Ist der Ausbau in Barriques passé? Welche Vorteile bietet Holz?
Nein, Barriquefässer sind nach wie vor interessant, da sie ähnliche Vorteile wie Beton mit sich bringen. Sie verleihen dem Wein zusätzliche Tannine und Wärme, die manche Kunden schätzen.

Wie ist die Resonanz Ihrer Kunden auf den Betonausbau?
Die Leute reagieren nach wie vor neugierig auf Beton, weil sie ihn nicht kennen.

Sie haben auch andere Formen von Betontanks. Welche Unterschiede bestehen?
Wir nutzen kubische Betontanks mit Armaturen für unsere Rotweine, die auf der Maische vergoren werden. Für fruchtbetonte Weine verwenden wir teilweise diamantförmige Tanks. Die mineralischen Weissweine werden in den Betoneiern vinifiziert, die die erwähnte Zirkulation erlauben. Die Grösse der Eier ist übrigens ideal, da sie der Regel des Goldenen Schnitts entsprechen.

Die Fässer sind ziemlich gross. Wie haben Sie diese in den Weinkeller gebracht?
Bei der Planung des Kellers haben wir uns nach Dimension und Gewicht der Tanks gerichtet. Der Keller ist ebenerdig, damit wir die Tanks bei Bedarf leichter bewegen können. Eine auf schwere Lasten spezialisierte Firma hat die Tanks schliesslich angeliefert und sie mithilfe von Kranen und teilweise Gabelstaplern positioniert.

Zement hat einen pH-Wert, der sich ungünstig auf den Wein auswirken kann. Daher wird das Innere mit einer Schicht versehen. Was steckt genau dahinter?
Die für die Schicht verwendete Weinsäure neutralisiert die basische Wirkung des Betons. Die Säure des Weins selbst beeinträchtigt den Beton nicht. Gleichzeitig bleibt die Porosität erhalten, was den Sauerstoffaustausch von aussen ermöglicht. Bei der Reinigung löst Soda dann den Weinstein wieder auf und desinfiziert die Betonwände. Vor jeder neuen Befüllung wird die Weinsäureschicht erneut aufgetragen, um für den nächsten Jahrgang gerüstet zu sein. Das ist nicht nur praktisch, sondern auch nachhaltig im Vergleich zu Barrique-Fässern, die spätestens nach drei Jahrgängen entsorgt werden.

Sie arbeiten gemäss Demeter-Richtlinien. Verträgt sich das mit industriell hergestellten Material Beton?
Ja, denn Beton gilt als rekonstituiertes Gestein und ist daher für Demeter natürlich. Zudem benötigt der Fasshersteller eine Lebensmittelzertifizierung, welche die Demeter-Vorgaben bestätigt.

Im Boden bzw. im Terroir findet sich oft Kies, ein Bestandteil von Beton. Ist ein Betongefäss darum näher dem Wein als ein Holzfass?
Das Ideal für eine perfekte Harmonie wäre nach unserer Philosophie ein Behälter, der aus der Erde des Weinbergs hergestellt, gebrannt und dann auf derselben Parzelle vergraben würde. Leider ist das nicht praktikabel. Mit einem Betonfass nähert man sich diesem Ideal aber definitiv.

Ihr Betrieb befindet sich in einem über 100 Jahre alten Gebäude. Könnten Sie sich vorstellen, in einem modernen Betonhaus zu leben?
Ja, wir haben einen befreundeten Architekten, der den Beton im Inneren seines Hauses unbehandelt gelassen hat. Wir fühlen uns bei ihm sehr wohl. Beton ist langlebig, pflegeleicht, zeitlos und besitzt hervorragende isolierende Eigenschaften sowie Formbarkeit.


Vielen Dank und eine erfolgreiche Ernte wünschen wir Ihnen!

Beton statt Barrique

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